TU Chemnitz: Neue Perspektiven für Energieeinsparung im IT-Bereich
Der ansteigende Energieverbrauch durch die Digitalisierung ist eine große globale Herausforderung. Das betrifft vor allem auch die Senkung des Energieverbrauchs von magnetischen Datenspeichern, die unter anderem in Rechenzentren eingesetzt werden. Erstmals gelingt einem internationalen Forschungsteam unter Beteiligung der TU Chemnitz und des IFW Dresden eine über elektrische Felder induzierte Magnetisierungs-Umkehr in Ferrimagneten mittels magneto-ionischer Prozesse – Veröffentlichung in Nature Nanotechnology.
Der ansteigende Energieverbrauch durch die Digitalisierung ist eine große globale Herausforderung. Das betrifft vor allem auch die Senkung des Energieverbrauchs von magnetischen Datenspeichern, die unter anderem in Rechenzentren eingesetzt werden. Erstmals gelingt einem internationalen Forschungsteam unter Beteiligung der TU Chemnitz und des IFW Dresden eine über elektrische Felder induzierte Magnetisierungs-Umkehr in Ferrimagneten mittels magneto-ionischer Prozesse – Veröffentlichung in Nature Nanotechnology.
Ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und unter Beteiligung von Prof. Dr. Karin Leistner, Inhaberin der Professur Elektrochemische Sensorik und Energiespeicherung am Institut für Chemie der Technischen Universität Chemnitz, ehemals Leiterin der Forschungsgruppe Magneto-ionische Materialien und Nanoelektrodeposition am Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW) Dresden, sowie ihrem wissenschaftlicher Mitarbeiter Dr. Jonas Zehner konnten nun über neuartige magneto-ionische Prozesse an ferrimagnetischen Dünnschichten ein Schalten der Magnetisierung um 180° mit geringen elektrischen Spannungen demonstrieren. Dieses Ergebnis ist von besonders herausragender Bedeutung, da eine Umkehr der Magnetisierung um 180° rein über elektrische Felder als kaum umsetzbar galt. Für die Datenspeicherung ist dieser Vorgang aber sehr hilfreich, da die einzelnen Bits ebenfalls meistens eine um 180° entgegengesetzte Magnetisierungsrichtung haben. Dieses Ergebnis der Forschung eröffnet einen Weg zu magnetischen Speichertechnologien mit drastisch reduziertem Energieverbrauch.
Beteiligt waren neben dem MIT und der TU Chemnitz noch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der University of Minnesota, des Korea Institute of Science and Technology und dem ALBA Synchrotron in Barcelona. Die Federführung lag bei den Materialwissenschaftlern Dr. Mantao Huang und Prof. Geoffrey Beach vom MIT als Experten für die wasserstoff-basierte Magneto-ionik.
Über ihre Ergebnisse berichten die Forscherinnen und Forscher in der aktuellen Ausgabe von Nature Nanotechnology.
Neuer Ansatz – 180° Richtungsumkehr der Gesamtmagnetisierung ohne äußeres magnetisches Feld In magnetischen Datenspeichermedien wie Festplatten oder MRAMS (Magnetic Random Access Memories) werden die Informationen in Bereichen mit verschiedener Richtung der Magnetisierung gespeichert. Die Kontrolle der Magnetisierungsrichtung erfolgt dabei durch elektrische Ströme oder über äußere Magnetfelder. Diese Magnetfelder werden wiederum über stromdurchflossene Mikrospulen erzeugt. In beiden Fällen kommt es durch den elektrischen Stromfluss zu Energieverlusten. Die Kontrolle der Magnetisierungsrichtung über elektrische Felder ist daher ein vielversprechender Ansatz, um den Energieverbrauch magnetischer Speichermedien zu senken. Bisher war dies meist nur mit hohen Spannungen oder bei sehr niedrigen Temperaturen möglich.
In einer neuen Herangehensweise nutzten die Forscher und Forscherinnen nun spezielle Eigenschaften von Ferrimagneten für das Magnetisierungsschalten über elektrische Felder aus. Ferrimagnete zeichnen sich durch magnetische Untergitter aus, die voneinander verschiedene und entgegen gerichtete Spontanmagnetisierungen aufweisen. Die Gesamtmagnetisierung ergibt sich aus beiden Anteilen. In Bezug auf magnetische Speichertechnologien haben ferrimagnetische Schichten gegenüber konventionell verwendeten ferromagnetischen Schichten Vorteile, weil sie beispielsweise eine schnellere Spindynamik ermöglichen. Für ferrimagnetisches Gadolinium-Kobalt (GdCo) konnte das Forscherteam nun zeigen, dass die relative Größe der Magnetisierungen der Untergitter über eine elektrisch induzierte und reversible Wasserstoffbeladung beeinflusst werden kann. Dazu wurde die GdCo-Schicht mit einer Palladium (Pd)-Zwischenschicht und einem Festelektrolyten aus Gadoliniumoxid (GdOx) kombiniert. Durch das Anlegen eines elektrischen Feldes wandern Wasserstoff-Ionen zur Pd/GdCo-Schicht und führen dort zur sogenannten "Hydrierung". Dabei wird Wasserstoff an andere chemische Elemente angelagert. Die Hydrierung verringert die Magnetisierung des Gd-Untergitters stärker als die des Co-Untergitters. Dieser über mehr als 10.000 Zyklen stabile magneto-ionische Effekt konnte über Messungen des zirkularen magnetischen Röntgendichroismus (XMCD) am Teilchenbeschleuniger ALBA experimentell nachgewiesen werden und ist die Grundlage des gezeigten Magnetisierungsschaltens.
Um eine 180° Richtungsumkehr der Gesamtmagnetisierung ohne ein äußeres magnetisches Feld zu erreichen, wurde die GdCo/Pd/GdOx-Schichtstruktur zusätzlich mit einer antiferromagnetischen Nickeloxid-Schicht funktionalisiert. Hier profitiert man vom sogenannten "Exchange Bias-Effekt". Dabei handelt es sich um einen richtungsabhängigen Effekt, der durch die Kombination eines Ferro- oder Ferri- mit einem Antiferromagneten entsteht. Dieser Effekt beruht auf der Kopplung magnetischer Spins an der Grenzfläche zum Antiferromagneten und sorgt dafür, dass die Magnetisierung des ferro-/ferrimagnetischen Materials in einer Richtung festgehalten wird. Er wird beispielsweise in magnetischen Sensoren in Leseköpfen von Festplatten ausgenutzt, um die magnetische Orientierung einer Referenzschicht konstant zu halten.
In Kombination mit dem ferrimagnetischem GdCo kann über den Exchange Bias-Effekt die Magnetisierungsrichtung der Co- und Gd-Untergitter gepinnt werden, und beim magneto-ionischen Schalten kehrt sich entsprechend die Gesamtmagnetisierung um. In diesem Fall wird die Magnetisierung also erstmals nur durch ein elektrisches Feld, und ohne zusätzliches äußeres magnetisches Feld, geschalten.
Insbesondere für die Erforschung des Übergangs auf Exchange Bias-Systeme konnten Prof. Karin Leistner und Dr. Jonas Zehner von der TU Chemnitz ihre Expertise einbringen. "Wir forschen sehr intensiv an der Kombination magneto-ionischer Systeme mit antiferromagnetischen Schichten und sind Experten für die magneto-ionische Kontrolle des Exchange Bias", erklärt Prof. Karin Leistner. Jonas Zehner erhielt im Rahmen seiner Doktorarbeit, die er am Institut für Metallische Werkstoffe des IFW Dresden in der Forschungsgruppe von Karin Leistner anfertigte, die Möglichkeit für einen sechsmonatigen Forschungsaufenthalt am MIT in der Gruppe von Geoffrey Beach.
Die für das 180°-Magnetisierungsschalten benötigte Schichtstruktur mit Exchange-Bias wurde in dieser Zeit im Austausch mit Prof. Geoffrey Beach und Prof. Karin Leistner initiiert und optimiert. Dazu kombinierte Dr. Jonas Zehner zunächst das magneto-ionische Modell-System Co/GdOx mit NiO. Am MIT stellte er dazu Dünnschichtabfolgen mit Magnetron-Sputtern her und optimierte die Dicken, die Zusammensetzung und die Schichtabfolge. Die magnetischen Eigenschaften während der Wasserstoffbeladung detektierte er mit einem oberflächensensitiven magneto-optischen Kerr-Effekt-Aufbau. So fand er heraus, dass eine ultradünne Pd-Zwischenschicht zwischen dem GdCo und dem antiferromagnetischen NiO essentiell ist, um den Exchange-Bias-Effekt zu stabilisieren. Der Forschungsaufenthalt wurde gefördert über das von Prof. Karin Leistner geleitete Projekt "Kontrolle magnetischer Hysteresen und Domänen über potentialinduzierte elektrochemische Reaktionen" der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Prof. Karin Leistner, Dr. Jonas Zehner und weitere Mitarbeiter der Professur für elektrochemische Sensorik und Energiespeicherung führen sowohl die Projektarbeiten als auch die Zusammenarbeit mit dem MIT an der TU Chemnitz weiter.
Zur Person: Prof. Dr. Karin Leistner Prof. Dr. Karin Leistner wurde zum 15. Mai 2021 an die Fakultät für Naturwissenschaften der TU Chemnitz berufen. Sie leitet dort die Professur Elektrochemische Sensorik und Energiespeicherung. Zuvor hatte sie am IFW Dresden eine Forschungsgruppe zum Thema Nanoelektrodeposition und Magneto-ionik geleitet. Der Schwerpunkt ihrer Forschung liegt im aufstrebenden Forschungsgebiet der Magneto-ionik, in dem elektrochemische Grenzflächenreaktionen ausgenutzt werden, um magnetische Materialien energieeffizient zu steuern.
Zur Person: Dr. Jonas Zehner Dr. Jonas Zehner ist seit dem 1. Juni 2021 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur Elektrochemische Sensorik und Energiespeicherung an der Fakultät für Naturwissenschaften der TU Chemnitz. Zuvor hat er am IFW Dresden in der Forschungsgruppe von Karin Leistner seine Promotion zum Thema der elektrochemischen Kontrolle von Schichten mit unidirektionaler Anisotropie angefertigt. Im Rahmen seiner Promotionsarbeit forschte er im Jahr 2019 für sechs Monate am MIT.
Publikation: M. Huang, M. U. Hasan, K. Klyukin, D. Zhang, D. Lyu, P. Gargiani, M. Valvidares, S. Sheffels, A. Churikova, F. Büttner, J. Zehner, L. Caretta, K.-Y. Lee, J. Chang, J.-P. Wang, K. Leistner, B. Yildiz and G. S. D. Beach, Voltage control of ferrimagnetic order and voltage-assisted writing of ferrimagnetic spin textures. Nature Nanotechnology.
DOI: doi.org/10.1038/s41565-021-00940-1
Kontakt
Prof. Dr. Karin Leistner Professur Elektrochemische Sensorik und Energiespeicherung Tel. +49 371 531-36463 E-Mail karin.leistner@chemie.tu-chemnitz.de