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Was bringt der Draghi-Report? – Europas Pläne sich mit China und den USA zu messen

12. September 2024. Am 9. September präsentierte die Europäische Union, allen voran EU-Kommissionspräsidentin und Auftraggeberin des Berichtes Ursula von der Leyen, den Report von Mario Draghi – einem Wirtschaftswissenschaftler, Banker und ehemaligen Chef der Europäischen Zentralbank. Über 400 Seiten hinweg analysiert der italienische Wirtschafts- und Industrieexperte hier die Stärken, aber vielmehr Schwächen Europas im internationalen Wettbewerb mit den USA und China. Mit 800 Mrd. Euro jährlich möchte Draghi die Europäische Union zukünftig wieder näher an die beiden Weltmächte heranführen, Abhängigkeiten ab- und eigene Kompetenzen noch stärker aufbauen. Nahezu alle großen Wirtschafts- und Industriebereiche wurden hierfür von ihm und seinem Team analysiert sowie mit entsprechenden Vorschlägen bzw. Strategien versehen – u.a. auch die Mikroelektronik. Es wäre Europa zu wünschen, dass es nun mutig und konsequent handelt. Ein „Weiter so“ ist schließlich keine Option. Will man mit den USA und China zukünftig konkurrieren, muss sich der europäische Staatenverbund neu aufstellen, mehr Risiken wagen und vielleicht auch unpopuläre Wege beschreiten. Oder sollte sich Europa besser davon verabschieden, mit den beiden Supermächten mithalten zu wollen?

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Zunehmend abgehängt. Uneins. Träge. Aktuell nicht in der Lage, mit den Großen auf der Weltbühne mitzuhalten. Der am 9. September vorgestellte Report von Mario Draghi – seines Zeichens Wirtschaftswissenschaftler, Banker und ehemaliger Chef der Europäischen Zentralbank – hält der Europäischen Union in diesen Tagen schmerzhaft einen Spiegel vor. Ein „radikaler, dringlicher und konsequenter Wandel“ wäre für die EU nun von Nöten, formulierte er. Vor knapp einem Jahr, am 13. September 2023, beauftragte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den italienischen Wirtschafts- und Finanzexperten mit der Suche nach all den wirtschaftlichen und industriellen Problemen bzw. Unzulänglichkeiten der EU. Zudem sollte Draghi entsprechende Lösungen und gangbarere Wege in eine erfolgreichere Zukunft finden. Ein „Befreiungsschlag für Europa“ sollte es werden. Auf 400 Seite lieferte Draghi am 9. September 2024 seine Sicht der Dinge ab. Die erste Reaktion von Seiten der EU-Kommissionspräsidentin war freundlich verhalten. Was der Report verbessert und in welchem Umfang er überhaupt für die weitere Arbeit der neuen EU-Spitze und -Gremien genutzt wird, wurde im Rahmen der Pressekonferenz nicht erläutert. Die Kommentare und Statements unterschiedlichster Stakeholder lassen zumindest Skepsis aufkommen, ob Europa Draghis aufgezeigtem Weg konsequent folgen will und wird. Die Frage, die sich stellt: Warum erarbeitet man über ein Jahr hinweg eine strategische Marschroute, wenn man sie dann nicht beschreiten mag?

800 Mrd. Euro jährlich sind nötig, um Europa gegen die USA und China zu wappnen

Zugegeben, bereits Draghis Kernforderung ließ so manche Ohren schlackern. 800 Mrd. Euro müsse die EU jährlich investieren, um mit China und den USA zukünftig halbwegs mithalten zu können. Neue, gemeinschaftliche Schulden nach dem Vorbild des zu Corona-Zeiten entwickelten NextGenerationEU-Programms und darauf fußende Investitionen wären unumgänglich. Ein neues Wettbewerbsrecht müsse her, um auch große europäische Player – die Gegengewichte zu den Googles, Amazons und Co. – zu ermöglich. Deutlich weniger Bürokratie, eine neue Energiepolitik, attraktive Bedingungen für europäische und internationale Unternehmen, eine Magnetwirkung für Fachkräfte aus aller Welt und vieles mehr werden zudem ins Feld geführt. Der Hauptvorwurf jedoch scheint klar. Europa hat es sich zu lange in seinem Wohlstand und dem Status quo gemütlich gemacht. Seit den 70er Jahren wurde immer weniger investiert. Im Schatten der USA ließ man die Dinge geschehen und China sehenden Auges an sich vorbeimarschieren – auch wenn das ungeachtet aller Maßnahmen wohl auch so passiert wäre. Die Quittung dafür erhielt Europa nicht erst gestern.

26 Nationen treten gegen zwei globale Riesen an

Draghis „Report“ oder „Europäische Zukunftsstrategie“ wurde bereits wenige Stunden nach der Veröffentlichung in unterschiedlichster Weise analysiert, kommentiert und aufgenommen. Als „Aufruf zum Handeln“ verstehen es die einen. Als „genau so nicht“ geißeln es die anderen. Und bereits hier wird das Problem Europas gegenüber den USA und China deutlich. Europa ist eben nicht das eine Land mit einer Führung. Es ist ein Staatenverbund aus 26 Nationen, auf der halben Fläche der USA oder Chinas. Politisch trennen die Mitgliedsstaaten teils Welten. Entsprechend gibt nicht eine Partei das Handeln vor, sondern muss ein ganzer Kanon großer, mittlerer und kleiner politischer Organisationen unterschiedlicher Nationen sich auf Konsens verständigen. Und dieser Konsens kommt, blickt man in die nahe Vergangenheit, teils nur mit enormen Anstrengungen, Reibungsverlusten und in endlos erscheinenden Zeitschienen zustande. Europa hemmt sich damit selbst.

Uneinigkeit hemmt Europa – nicht nur die deutsche Bundesregierung ist sich uneins

Bereits der Blick auf Deutschland und die Reaktionen der aktuellen Bundesregierung auf den Draghi-Report verdeutlicht das europäische Problem. „Eine gemeinsame EU-Kreditaufnahme wird die strukturellen Probleme nicht lösen: Den Unternehmen fehlt es nicht an Subventionen. Sie sind durch Bürokratie und Planwirtschaft gefesselt“, erklärte z.B. der deutsche Finanzminister Christian Lindner, Vorsitzender der FDP. „Innovation, bessere Rahmenbedingungen und die Mobilisierung öffentlicher und privater Investitionen sind das Gebot der Stunde“, forderte Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen. Einigkeit sieht anders aus. Während die USA und China Unsummen investieren, um die wirtschaftlichen Möglichkeiten der eigenen Nationen und speziell Unternehmen immer weiter auszubauen, herrscht in Europa bereits Uneinigkeit darüber, ob Staatenverbund und Mitgliedsstaaten überhaupt investieren sollen bzw. in welchen Größenordnungen. Man will es den Unternehmen leichter machen und sie befähigen, soweit der Konsens. Finanziell fördern will man sie vielleicht oder vielleicht auch nicht. Zugegeben, Geld ist sicher nicht die Lösung für jedes Problem. Hier kann man nur zustimmen. Wenn die Konkurrenz jedoch eine Menge Geld nutzt, um sich Vorteile zu verschaffen, kommt man dann seinerseits an Investitionen vorbei, um mit eben jener Konkurrenz Schritt zu halten und weitestgehend unabhängig zu bleiben?

Auf vier Seiten wird auch die Mikroelektronik von Dragi analysiert

Sie sehen, die Gemengelage bleibt schwierig und unübersichtlich. „Viele Köche verderben den Brei“, lautet ein altes Sprichwort. Und in Europa rühren viele, sehr viele Köche im selben Brei. EU-Instanzen, Mitgliedsstaaten, politische Stakeholder – selbst in kleinen und weitestgehend übersichtlichen Bereichen knirscht es teilweise gehörig. Das beste Beispiel ist hier die Mikroelektronik, zu der sich Draghi in seinem Report auf immerhin vier Seiten (Seite 86 bis 89) äußert. Einer Analyse des Ist-Zustandes lässt Dragi hier ebenfalls den Ruf nach mehr europäischen und nicht nur staatlichen Fördersummen folgen. Strategische Abhängigkeiten sollen verringert werden. Forschung und Entwicklung, Design und Fertigung sollen ausgebaut werden. Unternehmen, die wichtige Materialien, Anlagen und Maschinen für die Mikroelektronik produzieren, sollen ebenfalls verstärkt gefördert werden. Punkte, die so auch der EU Chips Act sowie nationale Strategien, z.B. Großbritannien oder Spaniens, zum Teil schon vorsehen. Das Problem auch hier: Wenn man nicht einheitlich denkt und konsequent handelt, ist Fortschritt ausgeschlossen. Bereits interface – ehemals die Stiftung neue Verantwortung – mahnte an, dass Europa eine einheitliche Strategie für seine Chip-Ambitionen fehlt. Draghis Report böte nun die Möglichkeit, diesen und viele weitere Bereiche anzupacken und für ganz Europa neu zu denken. Nur scheint der von Draghi geforderte „radikale, dringliche und konsequente Wandel“ erneut in bürokratischen Mühlen zermalmt zu werden.

Fazit

Es bleibt zu hoffen, dass Draghis Bericht nicht einfach in einem Schreibtisch in Brüssel verschwindet. Europa muss sich neu aufstellen und von alten Gewohnheiten lösen. Auch wenn nicht alles mit geborgtem Geld zu lösen sein wird, sind Investitionen in die Zukunft des Staatenverbundes unvermeidlich. Sich hier nicht von vornherein zu verweigern, sondern Lösungen auf Grundlage des nun erarbeiteten Wirtschaftsreports zu finden, ist die Aufgabe der neuen europäischen Spitze, deren Gremien sowie aller 26 Mitgliedsstaaten. Die Zeit des „Weiter so“ ist definitiv vorüber, dessen muss sich jeder in Europa bewusst sein. Wenn Draghis Wege nicht die richtigen sind, dann gilt es jetzt konstruktiv bessere Möglichkeiten zu finden. China und die USA werden jedenfalls nicht auf Europa warten. Alternativ könnte sich Europa entscheiden, seinen eigenen Weg zu gehen und nicht mit globalen Supermächten auf eine Stufe stellen zu wollen. Ob das das Selbstverständnis Europas als dritte Supermacht zulässt, ist jedoch fraglich.

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