265.000 Beschäftigte. 40,4 Mrd. Euro Umsatz im vergangenen Jahr. 25 Prozent Marktanteil in Europa. Ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 3,9 Prozent – im vergangenen Jahr sogar ein Wachstum von 5,1 Prozent. Hinter den USA (38,8 Prozent des Weltmarktes) ist Deutschland (9,9 Prozent) international die Nummer zwei des Bereiches. Die Medizintechnik ist ein deutsches Aushängeschild. Weltweit sind die MedTech-Produkte „Made in Germany“ heiß begehrt. 68 Prozent der hier produzierten Mittel, Geräte, Maschinen und Anlagen gehen ins europäische Ausland (37 Prozent der Exporte in Länder der EU, 14 Prozent ins restliche Europa) nach Nordamerika (20 Prozent) und Asien (18 Prozent). Es ist demnach reichlich Musik in diesem innovativen Bereich – zumindest international. Allein 2023 wurden 15.000 Patente europaweit angemeldet. Und trotzdem verstärkt sich zunehmend das Gefühl, dass die deutsche Medizintechnik mit angezogener Handbremse über unebenes Terrain holpert – speziell im eigenen Land. Vor allem die Ärzteschaft hat ihren eigenen Blick auf den Bereich, sieht u.a. die finanziell angeschlagenen Kliniken und Pflegeeinrichtungen in Deutschland als Hemmschuh für die MedTech-Branche. Aufgrund des hierzulande schwächelnden Medizin- und Gesundheitssystems sowie stetig steigender Bürokratie können sich zunehmend auch jene nur noch schwer entfalten bzw. halten, die neue MedTech-Lösungen entwickeln und vermarkten.
Schwächelnde Gesundheitssysteme bremsen die Medizintechnik
So rechnet die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) 2024 mit einem Rekord an Krankenhaus-Insolvenzen. Auch bei den Pflegeeinrichtungen sieht es aktuell nicht besser aus. Umstände, die auch die MedTech-Branche nicht unberührt lassen. „Die Rahmenbedingungen werden nicht besser, sondern immer kritischer. Der Bürokratieaufwand hat durch die neue europäische Medizinprodukte-Verordnung ein besorgniserregendes Ausmaß angenommen, verursacht hohe Kosten und bindet dringend benötigte Personalkapazitäten“, erklärt Martin Leonhard, Vorsitzender des Spectaris-Fachverbandes Medizintechnik. 93 Prozent der deutschen MedTech-Unternehmen sind kleine und mittlere Unternehmen (KMU) mit weniger als 250 Mitarbeitenden. Und gerade diese Player werden unter der zunehmenden Bürokratie, hohen Kosten und schwindenden finanziellen Möglichkeiten des Zielmarktes zerdrückt. Vor allem die stark gestiegene Personal-, Logistik-, Rohstoff- und Energiepreise sowie die hohen Kosten für die Umsetzung der EU-Medizinprodukte-Verordnung sorgen für Unmut. Doch auch die Konkurrenzsituation ist nicht zu unterschätzen. Schon heute werden zwischen 450.000 bis 500.000 verschiedene Medizinprodukte laut Schätzungen des Bundesgesundheitsministeriums und von Branchenexpert:innen in Deutschland angeboten. Jährlich kommen neue hinzu.
Eine Strategie für den MedTech-Bereich und bessere Vernetzung sollen helfen
Standortfreundliche Rahmenbedingungen und eine MedTech-Strategie 2030 werden nicht erst seit gestern gefordert. Auf einer Skala von 0 (sehr schlecht) bis 10 (sehr gut) bewerteten die nationalen MedTech-Unternehmen das Innovationsklima für Medizintechnik in Deutschland 2023 im Durchschnitt nur noch mit 3,5. Das ist seit Erhebung dieses Indexes 2012 der absolute Tiefstwert und zeigt die Dramatik der Herausforderungen für die KMU-geprägte MedTech-Branche in Deutschland auf. Blickt man auf die Trends der Branche wird schnell klar, dass Innovationen oft in den immer gleichen Bereichen stattfinden. Es geht um die fortlaufende Miniaturisierung von Produkten (wie. z.B. von Herzschrittmachern und Überwachungs- bzw. Analysegeräten für den außerklinischen Gebrauch), um Molekularisierung im Bereich der Biotechnologie, um – und jetzt wird es auch für die Branchen des Silicon Saxony interessant – Digitalisierung, Big Data, Künstliche Intelligenz, eHealth und den großen Traum von der Telemedizin. Gerade die letztgenannten Bereiche bieten hervorragende Möglichkeiten für interindustrielle Kooperationen und damit schnelle Durchbrüche. Denn was im Bereich der Medizintechnik aktuell dringend gebraucht und somit entwickelt bzw. erforscht wird, stand in anderen Industriebereichen bereits vor einigen Jahren im Mittelpunkt.
MedTech-Konferenz in Dresden zeigt Potenziale für Zusammenarbeiten und Austausch auf
Ein Eindruck, der sich vom 11. bis 13. September auch in Dresden und während der „AI & Electronics for Medicine 2024“-Konferenz erhärtete. Hier wurde der MedTech-Bereich intensiv beleuchtet. Zahlreiche Forschungsinstitute des Silicon Saxony waren in der Eventlocation des Center for Regenerative Therapies Dresden (CRTD) vertreten – u.a. die TU Dresden, das Else Kröner Fresenius Zentrum für Digitale Gesundheit (EKFZ), das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) oder das Barkhausen Institut. Auch Unternehmen unseres Netzwerkes, wie z.B. Vodafone, Infineon, NXP, Telekom MMS oder ZEISS Digital Innovation stellten hier ihre Kooperationen, Projekte, Lösungen und MedTech-Ansätze vor. Mit SEMECO präsentierte sich zudem ein aktuell laufendes Projekt des Bereiches, in dem auch Silicon Saxony als Partner aktiv ist. Etliche der Projektpartner und Teilprojekte rückten ihre kommenden Entwicklungen in den Fokus. Man wolle „das Innovationstempo für smarte medizinische Instrumente und Implantate erhöhen und mit neuen Ansätzen für Systemlösungen traditionelle Zulassungsprozesse revolutionieren. Im Mittelpunkt von SEMECO steht eine neuartige Verknüpfung von Sensorik, Aktorik, einem Teilgebiet der Antriebstechnik, und Informationsverarbeitung“, erklärt die Projektbeschreibung auf der Internetpräsenz des Bundesforschungsministeriums.
Das Projekt SEMECO adressiert die aktuellen Herausforderungen der MedTech-Branche
Ob „Echtzeit Netzwerk – Patientenzentrierte Daten und Kommunikation“, „KI-assistierte Regulatorik für Medizin und Cybersecurity“, „Neue Datenübertragungstechnologie für Computertomographen“, „Sichere & vertrauenswürdige Systemarchitekturen“ oder „Vertrauenswürdige Kommunikation“ – in unterschiedlichsten Teilprojekten nähert sich SEMECO den bestehenden Problemen der Branche mit zielführenden Kooperationen an. Doch dies ist bei Weitem nicht mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen MedTech-Stein. Längst gibt es für Themenfelder wie Big Data, Konnektivität, Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Fernzugriff auf Maschinen und Anlagen oder auch Entwicklungszeiten von Halbleiterprodukten belastbare Lösungen – ob im Automotive-Sektor (Konnektivität und Latenzen für das autonome Fahren), dem Maschinen- und Anlagenbau (Fernzugriff auf Maschinen und Smart Maintenance) oder allen voran der IKT- und Mikroelektronik-Branche (Entwicklung von Halbleiterlösungen, Einsatz von KI, Analyse von Big Data etc.). Schnelle und ressourcenschonende Adaptionen wären demnach im Bereich des Möglichen, gelänge es, einen noch effizienteren industrieübergreifenden Austausch zu etablieren und vorhandene Lösungen in den MedTech-Bereich zu überführen bzw. zumindest in Teilen zu nutzen. Nicht alles müsste neu erfunden werden, gäbe es abseits von Konferenzen eine engere Vernetzung mit Wissensträgern anderer Industriesektoren und einen entsprechenden Wissenstransfer.
Silicon Saxony bietet sich als Vernetzungspartner für den MedTech-Bereich an
Bereits kurz nach Abschluss der „AI & Electronics for Medicine 2024“-Konferenz wurden die gewonnenen Erkenntnisse im Rahmen des Silicon Saxony Strategiemeetings diskutiert. Ziel soll es zukünftig sein – auch abseits des SEMECO-Projektes – eine noch engere Vernetzung des MedTech-Bereiches mit den Branchen des Silicon Saxony voranzutreiben. Ob in Form eines Wissenstransfers im Rahmen von Arbeitskreisen, Konferenzen (wie dem Silicon Saxony Day) und Messen oder im Zuge einer direkten Vernetzung von Mitgliedsunternehmen und -institutionen mit interessierten MedTech-Unternehmen – das Silicon Saxony Netzwerk könnte Entwicklungen und Innovationen deutlich beschleunigen oder mit bereits vorhandenen Lösungen deutsche Wettbewerber im internationalen MedTech-Rennen unterstützen.
Hierfür benötigen wir auch Ihre Unterstützung und Mitarbeit. Machen Sie sich mit den momentanen Herausforderungen der MedTech-Szene vertraut. Übermitteln Sie uns mögliche Lösungsansätze bzw. bereits vorhandene Lösungen. Bringen Sie sich in unseren Projekten oder in unseren Netzwerkevents ein.
Nicht zuletzt empfehlen wir Ihnen die aktuelle Ausstellung „Dr. Zukunft“ im Dresdner Kulturpalast. Von Dienstag bis Donnerstag (jeweils 13 bis 18 Uhr) können Sie hier die aktuelle Rolle der Medizintechnik und deren Herausforderungen sowie aktuelle Forschungsprojekte und -ergebnisse aus Dresden erleben. Viele Aha-Momente sind hier garantiert – sowohl für interessierte Laien als auch für Technologieunternehmen mit bereits etablierten Lösungen.
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