Software

Bevor Europa aus allen Wolken fällt – Problemzone „europäische Cloud-Infrastrukturen“

17. April 2025. Amerikas Hyperscaler – von Amazon über Microsoft bis Google – halten den europäischen Cloud-Markt fest in ihren Händen. Auch bei Künstlicher Intelligenz und High-Performance-Computing führt kaum ein Weg an den Digitalkonzernen der USA und inzwischen auch Chinas vorbei. Die aktuellen Handelsstreitigkeiten mit den USA versetzen daher nicht zu Unrecht die europäische Wirtschaft und Industrie in Aufruhr. Was ist, wenn die Digitalzölle kommen? Was, wenn Donald Trump die transatlantischen Verbindungen im Digitalbereich kappt?

Diesen Beitrag teilen

Kontakt

Silicon Saxony

Marketing, Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit

Manfred-von-Ardenne-Ring 20 F

Telefon: +49 351 8925 886

Fax: +49 351 8925 889

redaktion@silicon-saxony.de

Ansprechpartner:

Circa 70 Prozent der in Europa verfügbaren Cloud-Kapazitäten werden aktuell von US-amerikanischen Anbietern kontrolliert. 85 Prozent der für Künstliche Intelligenz (KI) notwendigen Graphics Processing Units (GPUs) ebenfalls. Die Hyperscaler Amazon Web Services (AWS), Microsoft und Google betreiben in Deutschland mehr Infrastruktur in diesen Feldern als alle europäischen Anbieter zusammen. Würden die US-Schwergewichte – aufgrund der aktuell nur ausgesetzten Zollstreitigkeiten zwischen Europa und den USA – in den kommenden Monaten in die Schussbahn geraten bzw. würden sich deren Angebote durch Digital-Zölle unverhältnismäßig verteuern, müsste u.a. Deutschland tief in die eigene Tasche greifen und/oder rund 1.200 Megawatt (MW) zusätzliche IT-Anschlussleistung kompensieren. Das entspricht rund 40 Prozent der aktuellen Gesamtkapazität von 2.700 MW der Bundesrepublik. Eine Unmöglichkeit. Auch bei Europas Speicherbedarf klafft eine enorme Lücke. Laut AWS würde ein Wegfall der US-Hyperscaler eine Versorgungslücke von mindestens 40 Exabyte hinterlassen. Zum Vergleich: Alle von Google bislang gesammelten Daten entsprechen einer Gesamtmenge von rund 15 Exabyte. Ebenso deutlich ist die Abhängigkeit im Bereich des High-Performance-Computings (HPC). Zwei Drittel der HPC-Dienste für Industrie und Forschung in Deutschland laufen über Azure und AWS. Auch hier könnten europäische Anbieter diese Kapazitäten weder kurz- noch mittelfristig übernehmen.

Europa ist abhängig von US-amerikanischen Digitalunternehmen

Europa steckt somit in der digitalen Zwickmühle und das nicht erst seit gestern. Energieversorgung, Gesundheitswesen, Finanzsektor, öffentliche Verwaltung und Industrie sind in hohem Maße auf US-Cloud-Infrastrukturen angewiesen – etwa für Smart Grids, digitale Gesundheitsanwendungen, Zahlungssysteme oder Verwaltungsdatenbanken. Der Ausfall dieser Dienste hätte massive Folgen für Deutschland und Europa, wie ein globaler IT-Ausfall im Jahr 2024 bereits aufzeigte. Damals standen Flughäfen, Produktionslinien und der Einzelhandel still. Auch die Verwaltung war massiv betroffen, laufen doch z.B. digitale Katasterämter oder Steuerdatenbanken ebenfalls über US-Infrastrukturen. Dass die US-Unternehmen selbst bei einem eskalierenden Zollstreit zwischen EU und USA die transatlantischen Leitungen kappen und ihre Dienstleistungen einstellen würden, ist nicht zu befürchten. Teuer könnte es allemal für europäische Kunden, Staaten und den Staatenverbund werden.

Der bedarfsgerechte Ausbau von Rechenzentren würde bis zu 24 Mrd. Euro kosten

In Deutschland sind aktuell rund 2.000 Rechenzentren mit jeweils mindestens 50 Kilowatt IT-Leistung aktiv. Größere Ansammlungen befinden sich in Frankfurt am Main, Berlin, München, im Rheinland und in Hamburg. Außerhalb dieser Hotspots fehlt es häufig an der notwendigen Energieinfrastruktur. Und selbst die genannten Standorte kämpfen mit bereits ausgereizten Anschlusskapazitäten, fehlendem Personal und langen Neubauzeiten. So dauert die Neuerrichtung eines hochverfügbaren Rechenzentrums in Deutschland durchschnittlich 18 bis 24 Monate. Zudem scheitert der Aufbau neuer Rechenzentrumskapazitäten oft an der Verfügbarkeit von Transformatoren, Notstrom-Anlagen und Spezialkühlung. Viele dieser Komponenten unterliegen internationalen Lieferketten mit mehrmonatigen Vorlaufzeiten. Der Aufbau der aktuell durch US-amerikanische Unternehmen übernommenen Anschlussleistungen von rund 1.200 MW würde Deutschland zwischen 14 und 24 Milliarden Euro kosten. Und wahrscheinlich Jahre der Planung, Beschaffung sowie des Baus bedeuten. Förderprogramme wie das Important Projects of Common European Interest – Cloud Infrastructure and Services (IPCEI-CIS) stünden grundsätzlich für die Finanzierung bereit. Bislang sind hierfür jedoch weder konkrete Mittel noch eine nationale Strategie zur Förderung der digitalen Resilienz verabschiedet. Insofern ist IPCEI-CIS alles andere als voll leistungsfähig und kann daher kurzfristig wenig bewegen.

Open-Source-Lösungen sollen in Deutschland und Europa an Bedeutung gewinnen

Bräuchten Deutschland und Europa demnach ihre eigenen Hyperscaler? Beim Roundtable des Verbandes ALASCA, den unsere Silicon Saxony Kollegin Julia Nitzschner Anfang April moderierte, gab es hierzu eine eindeutige Antwort: „Nein!“. Es habe mit der Telekom Cloud bereits Bemühungen gegeben, einen Hyperscaler in Europa aufzubauen. Mit der Sovereign Cloud gebe es mittlerweile sogar den dritten Anlauf. „Der Marktbedarf ist nicht da“, resümierte Oliver Nyderle, Head of Digital Trust & Web 3 bei der Telekom. Auch Miriam Seyffart von der Open Source Business Alliance (OSBA) hält es nicht für notwendig, einen europäischen Hyperscaler aufzubauen und schlägt stattdessen Kooperationen in einem dezentralen System vor. Seyffart wünschte sich „ein klares Open-Source-Commitment“ von der neuen Bundesregierung. Diese verwies im Rahmen des ALASCA-Events und in Person von Ernst Stöckl-Pukall, Leiter des Referates „Digitalisierung, Industrie 4.0“ im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, auf die eher moderierende und fördernde Verantwortung der Bundesregierung. „Wir wollen gestalten“, meinte Stöckl-Pukall. Nur was und wie blieb ungewiss.

GAIA-X ist auch nach fünf Jahren Entwicklung keine Alternative für eine Europa-Cloud

Natürlich können Verbände wie ALASCA bei der Entwicklung, Verbreitung und Bekanntmachung von Open-Source-Technologien – speziell im Cloud-Bereich – unterstützen. Doch die oben genannten Zahlen und Fakten legen nahe, dass Europa schlicht die Kapazitäten im Bereich der Rechenzentren und weiteren Infrastrukturen fehlen, um der eigenen Wirtschaft, Industrie, aber auch Forschung, Wissenschaft, Bildung u.v.m. europäische Cloud-Alternativen anzubieten. Alle bisher angestoßenen Projekte, wie z.B. die europäische Cloud-Initiative GAIA-X, versuchen seit Jahren Lösungen zu bieten. Faktisch ist Europa heute jedoch nicht minder abhängig von amerikanischen Digitalangeboten, wie vor fünf Jahren (2019), dem damaligen Start von GAIA-X. Das Ziel eines föderierten, DSGVO-konformen Datenökosystems scheint machbar. GAIA-X Projekte wie z.B. iECO für den Bausektor, u.a. mit Beteiligung der Silicon Saxony Mitglieder Fraunhofer IVI, Fraunhofer IIS/EAS, IPROconsult und N+P Informationssysteme, zeigen die Machbarkeit europäischer Cloudlösungen im GAIA-X-Kosmos auf. Doch es wurden auch Probleme der Initiative sichtbar. GAIA-X ist nicht mehr als ein Framework, ein struktureller Rahmen der die grundlegenden Prozesse, Notwendigkeiten und Formalitäten aufzeigt. In diesem Rahmen funktionierende Lösungen zu entwickeln, kostet allerdings reichlich Geld und Know-how. Beides können kleine und mittlere Unternehmen (KMU) – das Rückgrat der deutschen und europäischen Wirtschaft – nur bedingt oder gar nicht bereitstellen. Nicht zuletzt bremsen Bürokratie, Fragmentierung und eine zu geringe Akzeptanz das Projekt GAIA-X seit seinem Start vor fünf Jahren aus.

Mittelständische Unternehmen sollen in Europa die großen Hyperscaler kompensieren

Wenn aber neue europäische Hyperscaler, Initiativen wie GAIA-X oder Open-Source-Lösungen das Cloud-Eisen nicht aus dem Feuer ziehen können, wer dann? Mit Comarch, MagentaCLOUD, OVHcloud, secureCloud, Inernxt, IONOS, leitzcloud by vBoxx, Nextcloud, Tresorit, Open Telekom Cloud, Scaleway und Aruba existieren etliche europäische Anbieter, die sichere Cloud-Dienste zu Verfügung stellen. Oft weisen diese jedoch Schwäche in den Bereichen Skalierbarkeit, globale Präsenz und AI-Leistungsfähigkeit auf. Daher sind sie eher für KMU und datenschutzsensible Anwendungen geeignet, nicht aber als vollwertiger Ersatz für die US-amerikanischen Hyperscaler. Es ist auch positiv zu bewerten, dass Programme wie IPCEI-CIS, InvestAI und EuroHPC den Aufbau europäischer Cloud- und KI-Infrastrukturen unterstützen. AI-Gigafactories, Telco-Cloud-Stacks, Open-Source-Initiativen wie Mistral AI oder OpenNebula setzten in den vergangenen Monaten und Jahren wichtige Impulse und schufen neue europäische Angebote. Doch gegen die Marktmacht der US-Unternehmen kommen auch diese Lösungen nicht an. Was nicht bekannt ist, den Preiskampf bestehen kann und Vertrauen schürt, wird nicht genutzt. So einfach funktioniert die globale Marktwirtschaft. Zwar bietet sich Cloud-Nutzenden eine Vielzahl an Optionen, doch das damit verbundene Klein-Klein schreckt allzu oft ab und stärkt die internationalen Hyperscaler.

Die aktuelle Disruption durch die US-Zölle ist eine Chance für Europa im Cloud-Bereich

Kurzfristige Disruptionen, wie eben jener derzeitiger Zollstreit zwischen den USA und dem Rest der Welt, ändern daran langfristig nur wenig. In der momentanen Ungewissheit suchen zahlreiche Unternehmen und Institutionen europäische Alternativen zu den US-Hyperscalern. Alle der oben genannten europäischen Cloudanbieter verzeichneten in den vergangenen Wochen einen enormen Zuwachs an Nachfragen und damit auch Neukunden. Die Frage ist: Wie lange wird dieser Ansturm halten, sollten sich die Zollbedenken und Abschottungsbemühungen aus Richtung USA zerstreuen? Ob aus Bequemlichkeit oder schlichtem Pragmatismus – die Marktmacht der US-Digitalunternehmen wird ungebrochen bleiben, solange Europa keine bekannten und hoch performanten Alternativen entwickelt oder gefördert bekommt. Mit Schwarz Digits, einem Teil der Schwarz Gruppe, hat sich in den vergangenen Jahren ein Lösungsanbieter ebenso smart, wie auf seine Zielgruppe (den Einzelhandel) fokussiert aufgemacht, die eigenen Probleme in die eigene Hand zu nehmen. Aus einer schlichten Notwendigkeit wurden eine Lösung und ein Unternehmen, die seither dynamisch wachsen und das Potenzial haben, im Cloud-Bereich einiges zu bewegen.

Europa muss sich breiter aufstellen und eingeschlagene Wege konsequent beschreiten

Es ist nur eines von vielen Beispielen, die Wege in die digitale Souveränität aufzeigen und als Role Model taugen. In einem ersten Schritt wäre es sinnvoll, diese Projekte, Initiativen und Unternehmen für ganze Deutschland und Europa sichtbar zu machen und perspektivisch in ihrer Entwicklung zu fördern. Künstlich Hyperscaler zu entwickeln, ist sicher nicht der beste Weg, vielleicht auch nicht notwendig. Sich der Entwicklung eines europäischen Hyperscalers zu verschließen, wäre jedoch ebenso wenig clever. Und genau hier sollte die Politik in den kommenden Monaten und Jahren ansetzen. Vorhandene Player müssen gestärkt und unterstützt werden. Rechenzentren gehören als kritische Infrastrukturen eingestuft und müssen von einem Bürokratieabbau profitieren. Planung und Bau dieser Infrastrukturen gehören beschleunigt. Genehmigungen sollten nicht nur schnell erfolgen, sondern die damit verbunden Projekte auch steuerlich und energiepolitisch gefördert werden. Es braucht zudem weitere Anstrengungen, Budgets und einen Umsetzungsdruck, um Initiativen wie GAIA-X und IPCEI-CIS tatsächlich fliegen zu lassen. Und auch Unternehmen und Institutionen – also die potenziellen Kunden von Cloud-Anbietern – sind gefragt. Multi-Cloud-Strategien, Migration kritischer Systeme zu europäischen Providern und Notfallpläne für Rechenzentrums- und Cloud-Ausfälle sind kein Hexenwerk. Verbände wie Silicon Saxony oder ALASCA können hier beratend zur Seite stehen bzw. gezielt vernetzen.

Digitale Souveränität ist kein Geschenk, sondern muss sich hart erarbeitet werden. Das ist die unbequeme Wahrheit. Die Chance, die richtigen Weichen zu stellen und Wege zu beschreiten, ist heute größer als je zuvor. Hierfür braucht es jedoch Zusammenarbeit über alle Ebenen hinweg – von der Politik über Projekte, Initiativen und Verbände bis hin zu Cloud-Anbietern und deren Kunden. Gemeinsam kann sich Europa digital unabhängiger machen und das eigene Cloud-Ökosystem Stück für Stück erweitern. Andernfalls muss man sich nicht wundern, wenn man irgendwann aus allen Wolken fällt.

_ _ _ _

Silicon Saxony Newsletter & Podcast

Unser Silicon Saxony Newsletter erreicht Sie zweimal im Monat. Ob Aktuelles aus der sächsischen, deutschen oder internationalen Mikroelektronik-, IKT- und Software-Branche, Veranstaltungen aus und für die Tech-Szene bzw. lohnenswerte Aktivitäten, Förderangebote sowie Projekte für Sie und Ihr Unternehmen – wir halten Sie auf dem Laufenden. 👉Newsletter Anmeldung

Bei unserem Podcast „What’s chippening“ ist stets Mikroelektronik-Experte Frank Bösenberg zu Gast. Im Fokus des ca. 15-minütigen Formats stehen aktuelle nationale und internationale Halbleiter-News, die er erklärt, bewertet und einordnet, damit Sie immer bestens informiert in die kommende Woche starten können. 👉Podcast

Foto: pixabay

Das könnte Sie ebenfalls interessieren

Kontakt

Silicon Saxony

Marketing, Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit

Manfred-von-Ardenne-Ring 20 F

Telefon: +49 351 8925 886

Fax: +49 351 8925 889

redaktion@silicon-saxony.de

Ansprechpartner: