
Die USA hatten Mitte Oktober gedroht, Nexperia nicht von seiner schwarzen Liste zu streichen, sollte der chinesische Vorstandschef Zhang Xuezheng im Amt bleiben. Dies hieße, dass US-Unternehmen Nexperia nicht beliefern oder dem Unternehmen als Dienstleister zur Verfügung stehen dürften. Zudem wäre der Zugang zu Spitzentechnologien eingeschränkt gewesen. Die Produktion in den europäischen Werken (Nijmegen, Hamburg und Manchester), die damit verbundenen Arbeitsplätze und nicht zuletzt die niederländische Wirtschaft schienen gefährdet, hieß es. Wingtech CEOs Zhang Xuesheng (alias Wing) ließ mit Nexperia-Geldern Wafer im Wert von 200 Mio € bei seiner eigenen Firma in China bestellen, bei 70 % Vorauszahlung, obwohl nur etwa die Hälfte benötigt wurde. Als der CFO von Nexperia widersprach, wurde ihm der Bankzugang entzogen und das Drama begann. Durch die Absetzung Xuezheng und der Ernennung des deutschen Stefan Tilger als neuen Nexperia-Vorstandschef versuchen die Niederlande die Situation zu befrieden. Eine Entscheidung, die eng mit der europäischen Automotive-Industrie und Nexperia als deren wichtiger Zulieferer verknüpft war. Jedoch war dies auch eine Entscheidung, die ihrerseits Sanktionen Chinas nach sich zog. Betroffen waren zwei Backend-Fabriken (Dongguan und Wuxi), also Werke für Verpackung und Test, die nicht mehr nach Europa ausliefern durften. Die Niederlande verhandelten daher auch mit China über ein Aussetzen dieser neuen Sanktionen.
Ein erstaunlicher Vorgang, der aufzeigt, welche Bedeutung die Mikroelektronik inzwischen nicht nur für einzelne Nationen, sondern für ganze Staatenverbunde und Partnerschaften hat. Zudem ein Fingerzeig, wie es aktuell um die technologische Souveränität Europas und damit auch Deutschlands bestellt ist. Auch wenn die Niederlande zu betonen versuchen, es stünde kein ausländischer Einfluss hinter der Nexperia-Entscheidung, darf dies zumindest bezweifelt werden. Europas Ziele, 20 Prozent globalen Marktanteil in der Halbleiterproduktion zu erreichen, werden in dieser Gemengelage nicht greifbarer. Schließlich lässt der aktuelle Vorgang die Frage aufkommen, was mit anderen chinesisch oder amerikanisch geführten Halbleiterunternehmen auf europäischem Boden passieren könnte, wenn die USA und China ihren Handelskrieg weiter verschärfen. Zuletzt führten bereits die geänderten chinesischen Ausfuhrbestimmungen auf Seltenerdmetalle wie Gallium und Germanium zu einem Schlagabtausch im Bereich der Zölle. Sie könnten auch Einfluss auf die Nexperia-Konfrontation gehabt haben.
Ob es der am 15. Oktober veröffentlichten Mikroelektronikstrategie des Bundes gelingt, Deutschland und damit auch Europa in ruhigere Fahrwasser zu führen, bleibt abzuwarten. Die derzeitigen Abhängigkeiten von den USA und auch China wurden im Fall Nexperia schließlich offensichtlich. Ob die zuletzt getroffene Entscheidung, 3 Mrd. Euro aus dem deutschen Fördertopf für die Mikroelektronik abzuziehen und diese dem nationalen Infrastrukturausbau zu widmen, die Positionen Deutschlands und Europas stärken, ist wohl auszuschließen. Auch hier sollte Nexperia als Warnschuss fungieren. Eine neue Bitkom-Studie zeigt aktuell auf, wie verunsichert die deutsche Wirtschaft und Industrie sind. Auch hier sollte speziell die deutsche Politik aufhorchen.
Wir stellen Ihnen untenstehend die wichtigsten Medienechos rund um den Nexperia-Schlagabtausch sowie die Informationen zur Mikroelektronikstrategie des Bundes zur Verfügung. Bilden Sie sich Ihre eigene Meinung. Darüber hinaus empfehlen wir Ihnen unseren Podcast „What´s chippening“. Hier ordnete Silicon Saxony Geschäftsführer Frank Bösenberg die aktuellen Vorkommnisse und Entwicklungen von Nexperia bis zur Mikroelektronikstrategie des Bundes ein. Hörenswert!
Hintergrund Nexperia
Was ist bei Nexperia passiert?
Die niederländische Regierung hat nicht „das Unternehmen gestohlen“, sondern erstmals das Warenverfügbarkeitsgesetz von 1952 angewendet. Damit übernahm das Wirtschaftsministerium unter Vincent Karremans die operative Kontrolle über Nexperia, um riskante Technologietransfers oder Standortverlagerungen zu verhindern. Die Eigentumsrechte bleiben bei der chinesischen Mutter Wingtech Technology – es gab keine Enteignung oder Nationalisierung, sondern eine Entmachtung der bisherigen Geschäftsführung. Eine Entschädigung wurde bislang nicht gezahlt.
Warum griff die niederländische Regierung bei Nexperia ein?
Offiziell aus Sicherheits- und Versorgungsschutzgründen. Hintergrund ist die Sorge, dass durch den chinesischen Eigentümer Wingtech strategisch relevante Halbleitertechnologien oder Produktionskapazitäten ins Ausland abfließen könnten. Das Gesetz erlaubt in solchen Fällen die temporäre Übernahme der Managementkontrolle, ohne die Eigentumsrechte zu entziehen – ein rechtlicher Präzedenzfall.
War der Eingriff bei Nexperia Folge von US-Druck?
Nicht ausschließlich. Zwar steht Wingtech auf der BIS-Liste der USA, was politischen Druck erzeugte, doch der entscheidende Auslöser war laut Gerichtsdokumenten Fehlverhalten des CEOs Zhang Xuesheng (alias Wing). Er ließ mit Nexperia-Geldern Wafer im Wert von 200 Mio € bei seiner eigenen Firma in China bestellen – 70 % Vorauszahlung, obwohl nur etwa die Hälfte benötigt wurde. Als der CFO widersprach, wurde ihm der Bankzugang entzogen.
Wie stark ist Nexperia vom China-Exportstopp betroffen?
Betroffen sind nur zwei Backend-Fabriken (Dongguan und Wuxi), also Werke für Verpackung und Test. Laut eigenen Daten liegt der Marktanteil von Nexperia bei unter 10 %, nicht bei den oft genannten 40 %. Für alle Produkte existieren alternative Lieferanten, auch wenn Automotive-Zertifizierungen und Preisunterschiede den Ersatz erschweren.
Hätten Ex-Wirtschaftsminister Robert Habeck oder die EU den Nexperia-Fall verhindern können?
Nein. Der Fall betrifft die Backend-Fertigung, nicht die High-End- oder Advanced-Packaging-Produktion, auf die der EU Chips Act abzielt. Diese Art von Fertigung gilt nicht als „first-of-a-kind“ und fällt auch im geplanten EU Chips Act 2 nicht unter die Förderprioritäten. Ein politischer Eingriff nach deutschem oder europäischem Vorbild wäre daher unwahrscheinlich gewesen.
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Weiterführende Links
Medienecho Nexperia (15. Oktober):
👉 ORF: Niederlande geraten zwischen die Fronten
👉 NTV: China untersagt niederländischem Chip-Hersteller Exporte
👉 Deutschlandfunk: Niederlande übernehmen Kontrolle über Chip-Hersteller Nexperia
👉 Handelsblatt: Nexperia bekommt deutschen Chef – und Druck aus den USA
👉 Spiegel: Niederlande haben Kontrolle über chinesischen Chiphersteller Nexperia übernommen
👉 Golem: Niederlande übernehmen Kontrolle von Nexperia
👉 IT Times: Nexperia unter Staatskontrolle: Niederlande greift bei chinesischem Chip-Hersteller ein
Medienecho (bis heute)
👉 Spiegel: Niederlande fürchteten offenbar Verlagerung von Chiphersteller Nexperia
👉 NTV: Warum die deutschen Autobauer den Nexperia-Streit so fürchten
👉 Handelsblatt: Nexperia-Eigner wollte offenbar Produktion nach China verlagern
👉 FAZ: Wie lange reichen die Chips noch?
👉 Berliner Zeitung: Nach VW-Chipkrise: Merz-Regierung greift jetzt bei China-Forschung ein
👉 Tagesschau: Vorerst keine Produktionsstopps bei VW
Mikroelektronikstrategie:
👉 Zur Mikroelektronikstrategie der Bundesregierung
Bitkom-Studie:
👉 Zur Bitkom-Studie
Podcast:
👉 Zum Podcast „What´s chippening“
Foto: GlobalFoundries