Immer kleiner, schneller und energieeffizienter sollen sie sein, die Halbleiterchips der Zukunft. Liest oder hört man von Mikroelektronik, sind die Nanometer-Angaben zumeist nicht weit. Hochmodern, also "Leading- oder Cutting-Edge", so wird oft suggeriert, ist nur was winzig, in diesem Fall kleiner als 10 nm, ist. 2021 vermeldete IBM hier den letzten großen Durchbruch. Mit dem ersten 2-nm-Chip der Welt – also zwei millionstel eines Millimeters groß – war ein neues Minimum erreicht. Das Moore’schen Gesetz schien an der Grenze des Machbaren angekommen. Auch Europa wirkte geradezu fasziniert vom Gedanken an diese, mit bloßem Auge nicht mehr sichtbaren Strukturen. Die Halbleiterknappheit der Corona-Jahre trieb den Wunsch, genau diese Strukturgrößen auch auf dem eigenen Kontinent produzieren zu können, weiter voran.
Doch braucht Europa überhaupt, was sich speziell die Politik zunehmend zu wünschen scheint? Ein schneller Blick auf Smartphones, Tablets, Wearables und Co. oder die Top 10 der größten Elektronikhersteller weltweit zeigt, dass Asien und Nordamerika – hier speziell China und die USA – haben, was Europa auch 2023 fehlt: Hersteller dieser auf Mikrochips mit kleinsten Strukturen angewiesenen Elektronik-Arten. Sind das Erkennen der eigenen Stärken bzw. Schwächen, das Unterscheiden des Notwendigen von weniger Notwendigem in diesen Tagen also nur zwei weitere Herausforderungen von vielen, die Probleme bereiten?
Energie, Mobilität, Industrie – nicht nur in diesen Bereichen soll schließlich der Wandel hin zu einer besseren, einer klimaverträglichen Zukunft gelingen. Auch hier werden "Leading Edge"-Lösungen benötigt, jedoch eher im Leistungshalbleiter-Segment. Denn in modernsten Energienetzen, neuesten Elektrofahrzeugen, in leistungsstarken Industriemaschinen und -anlagen spielt Größe zumeist nur eine untergeordnete Rolle. Die Leistung ist oder besser Leistungshalbleiter sind hier, was wirklich zählt. Hohe Ströme, schwierige Umgebungen, harte Anforderungen bestimmen den Alltag dieser ganz anderen, in Bezug auf die Strukturgrößen "riesig" wirkenden Chips. Doch ohne sie wird Europa seine anspruchsvollen Ziele, das Klima oder besser die Menschheit auf den letzten Metern doch noch zu retten, nicht erreichen.
Allein deswegen ergibt es Sinn, Hersteller dieser Leistungshalbleiter auch weiterhin mit Subventionen im Rahmen des European Chips Act zu fördern. Hersteller wie Infineon, Bosch, Renesas, Wolfspeed und Co. Und genau diese Hersteller sind es aktuell, die investieren wollen. Die den Bedarf bestens kennen und ihn auch in Zukunft mit Hilfe neuer milliardenschwerer Werke zu befriedigen versuchen. Hierfür bedarf es jedoch Geschwindigkeit im Handeln. Seit mehr als zwei Jahren gärt inzwischen der europäische Chips Act vor sich hin und ist dennoch noch immer nicht handlungsfähig. Es verwundert daher kaum, dass am Montag die 13 führenden Mikroelektronik-Standorte Europas – auf Initiative von Sachsen – in Brüssel eine neue Halbleiter-Allianz gründeten. Zusammen möchte man nicht nur Druck in Richtung der Europäischen Förderpolitik ausüben, sondern die technologischen Kompetenzen des Kontinents noch enger miteinander verzahnen.
Kompetenzen, die von der Forschung (wie z.B. im Projekt Power2Power) bis zur Produktion jener mikroelektronischen Bauteile reichen, die unser Kontinent für seine drängendsten Herausforderungen tatsächlich benötigt. Auch oder gerade so wäre schnellerer Fortschritt möglich. Aktuell spiegelt sich diese Notwendigkeit allerdings kaum in den politischen Gedankenspielen der nationalen und europäischen Entscheider:innen wider. In der "Zukunftsstrategie Forschung und Innovation" der Bundesregierung z.B. wird der Begriff Leistungshalbleiter ein einziges Mal erwähnt. "Deutschlands Stärken in funktionskritischen Bereichen wie beispielsweise Sicherheitschips, Embedded Security, Sensorik und Leistungselektronik werden wir unterstützen und ausbauen", heißt es hier nichtssagend. Dabei wäre ein offensiveres Herangehen im Bereich der Leistungselektronik nicht nur aus Klimagründen dringend angesagt.
Neue Materialien wie Siliziumkarbid, Galliumarsenid, Galliumnitrid und andere sind in der Lage den Bereich der Leistungshalbleiter zu revolutionieren. Aktuelle Investitionen von Leistungshalbleiterspezialisten wie Infineon unterstreichen das. Doch hierzu bedarf es konzertierter Forschung, milliardenschwerer Förderung, neuer Produktionsstandorte und, auch wenn es sich wiederholt, höherer Geschwindigkeit. Die Welt steht kurz vor ihrem Kipppunkt. Nur noch wenige Grad trennen uns von eisfreien Polkappen, gletscherlosen Gebirgen, sich ausweitenden Wüsten, steigenden Meeresspiegeln, wachsender Flüchtlingsströme und unendlichem menschlichen Leid. Auch wenn Leistungshalbleiter diese düstere Zukunft nicht allein verhindern können, sind sie ein wichtiges Werkzeug in den Händen fähiger Ingenieur:innen und Visionäre. Gute Gründe also, dieses Must-have der Jagd nach immer kleineren Strukturgrößen, also dem "Cutting-Edge"-Ansatz, vorzuziehen. Oder was meinen Sie?
Treten Sie zu diesem Thema gern mit uns in den Austausch. Nehmen Sie an unseren Arbeitskreisen und Events teil. Engagieren Sie sich in unseren Projekten oder vernetzen Sie sich mit unseren Mitgliedern, auch abseits des Bereiches Leistungshalbleiter.
Foto: Bosch