Forschung in Biologie und Medizin basiert zu einem großen Teil auf mikroskopischen Untersuchungen. In den vergangenen Jahren wurde die Welt der Zellen, Gewebe und Organe durch technische Neuerungen immer zugänglicher: Besonders die Entwicklung dreidimensionaler Aufnahmen der untersuchten Lebendproben hat zu wichtigen Entdeckungen und Erkenntnissen geführt. Doch das volle Potenzial der dritten Dimension kann aktuell nicht genutzt werden, da zwar die Bildgebungsverfahren für lebende Zellen in 3D stattfinden, aber die darauf aufbauende, zielgerichtete Bearbeitung dieser Proben häufig nur in 2D durchgeführt wird.
Die XR-Mikroskopie könnte hier zu einer Welle neuer Erkenntnisse führen. Anwender*innen können damit erstmals direkt und in 3D mit der unter dem Mikroskop befindlichen Probe interagieren. Dies ermöglicht, dass bestimmte Modifikationen der Lebendprobe – wie Laserablationen oder Ausbleichexperimente – nicht nur mit besserer Einbeziehung der räumlichen Umgebung der Zelle, sondern auch schneller und genauer erfolgen als bei einer zweidimensionalen Darstellung.
Virtual-Reality-Brille statt Monitor
Die Köpfe hinter dem Konzept sind die beiden ehemaligen CASUS-Wissenschaftler Dr. Ulrik Günther und Jan Tiemann. Außerdem gehören Prof. Ivo Sbalzarini vom Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) Dresden sowie Prof. Matthew McGinity von der Technischen Universität Dresden (TUD) zum XR-Mikroskopie-Team. „Das von uns konzipierte System benötigt keine spezialisierte Hardware“, so Günther. „Es basiert zunächst auf einer Virtual-Reality-Brille und einem Standardcomputer, auf dem unsere Software läuft. Wir entwickeln Schnittstellen für die großen Hersteller von Fluoreszenzmikroskopen sowie für wichtige Probenmanipulationsgeräte, so dass XR-Mikroskopie in naher Zukunft an fast jedem bestehenden modernen Forschungsmikroskop möglich sein wird.“ Die Software ist größtenteils quelloffen und soll gemeinsam mit der Forschungsgemeinde Stück für Stück weiterentwickelt werden. Einzig für die Schnittstellen zu den Mikroskopen und Geräten kommerzieller Hersteller werden Lizenzgebühren fällig.
„Der Ansatz der XR-Mikroskopie bietet unserer Meinung nach einen klaren Mehrwert“, sagt Prof. Otger Campàs von der TUD, der als einer der ersten ein von den Entwicklern eingerichtetes XR-Mikroskop nutzt. Campàs hat den Lehrstuhl für Gewebedynamik inne und ist Sprecher des Exzellenzclusters Physics of Life, das sich auf die Untersuchung dreidimensionaler biologischer Daten konzentriert. „Dank der XR-Mikroskopie kann man auf natürliche Weise auch mit komplexen Daten arbeiten. Im Prinzip ermöglicht diese Technologie überhaupt erst ein sinnvolles Experimentieren mit komplexen Lebendproben“, so Campàs weiter.
Im Auftrag der HZDR-Abteilung Technologietransfer und Innovation, die das Projektteam auf dem Weg von der Idee zum Produkt unterstützt, hat sich auch die Ascenion GmbH in München, ein Experte für den Wissens- und Technologietransfer in den Biowissenschaften und der Medizin, mit dem Vorhaben eingehend beschäftigt. Aufgrund des hohen Wachstums in den adressierten Märkten und dem Interesse etablierter Akteure wie der Mikroskopie-Unternehmen Leica und Zeiss an der Thematik kommt Ascenion zu dem Schluss, dass sich dem Projekt eine vielversprechende Chance für eine erfolgreiche Ausgründung bietet.
Nach dem Gewinn des Innovationswettbewerbs vor einem Jahr reichten Günther und Tiemann zunächst einen Antrag für die Erteilung eines Patents ein. Im Sommer 2024 erhielten sie dann eine Validierungsförderung der Sächsischen Aufbaubank. Dank der aktuell laufenden BMBF-Förderung über das Programm GO-Bio initial können die beiden Spezialisten das Innovationspotenzial ihrer Idee ausloten, Marktanalysen machen und die Patentsituation bewerten. Im besten Fall entsteht aus der Geschäftsidee ein tragfähiges Geschäftsmodell.
Kontakt
Dr. Ulrik Günther | Projektmanager XR-Mikroskopie
Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf e. V. (HZDR)
Tel.: +49 3581 37523-52
E-Mail: ulrik.guenther@hzdr.de
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Foto: U. Günther & J. Tiemann/HZDR