
Mit großem Tross besuchte Bundeskanzler Friedrich Merz am vergangenen Dienstag Dresden, die Landeshauptstadt Sachsens, zu seinem Antrittsbesuch. Von der bewegten Vergangenheit des Freistaates über dessen größtenteils gelungenen Strukturwandel bis hin zu Zukunftsperspektiven gab es reichlich Gesprächsstoff zwischen Ministerpräsident Kretzschmer und dessen CDU-Fraktionskollegen Merz. Natürlich stand auch die Mikroelektronik im Fokus des hohen Besuches. Seit Corona, spätestens aber seit dem außergewöhnlichen Schauspiel um das niederländische Halbleiterunternehmen Nexperia und dessen Auswirkungen auf Deutschland sowie der hiesigen Automotive-Industrie, sollte allen die Bedeutung der Mikroelektronik bewusst sein. Auch was sich in diesem Bereich aktuell in Sachsen bewegt, ist leicht ersichtlich – wird nicht nur medial immer wieder ins Rampenlicht gehoben.
Sachsens milliardenschwere Halbleiterprojekte sind im Plan
Bereits bei Ankunft von Bundeskanzler Merz begrüßten ihn noch auf der Autobahn A4 die Kräne der esmc-Baustelle im Dresdner Norden. Hier, wie bei der nahegelegenen Baustelle von Infineon (Neubau einer Smart Power Fab), zeigt der Standort aktuell, was er kann: Großprojekte der Halbleiterbranche in Rekordzeit umsetzen. Beide Chips Act Projekte liegen im Zeitplan und werden pünktlich die Produktion für Deutschland und Europa aufnehmen. Hier in Sachsen schlägt das Mikroelektronik-Herz Europas. Hier wächst die Branche, wie an keinem anderen Ort des Kontinents. Gefeiert wurde im Beisein des Bundeskanzlers dann sogar eine weitere und damit dritte Milliardeninvestition im Norden Dresdens, die von GlobalFoundries.
GlobalFoundries ergänzt die aktuell positiven Nachrichten des Standortes
1,1 Mrd. Euro investiert der US-Konzern, gefördert unter European Chips Act Regeln von Bund und Land, in die Erweiterung seiner Produktionskapazitäten. 1,1 Mrd. Wafer (bisher 950 Mio.) pro Jahr sollen zukünftig in Europas größter Fab produziert werden. Neue Produkte und Zielgruppen werden adressiert. Eine ausschließlich europäische Lieferkette soll sicherheitsrelevante Halbleitererzeugnisse in Europa und für Europa möglich machen. Und das ist wohl nur der Beginn weiterer Investitionen, glaubt man den Gerüchten am Standort. Mit den geplanten und bereits umgesetzten Modernisierungen und Erweiterungen der beiden Mikroelektronikgrößen Bosch und X-FAB am Standort zeigt der Freistaat damit eindrucksvoll seine Schlagkraft. Längst ist von einer „Boom“-Region medial die Rede. Denn nicht nur die großen Halbleiterplayer investieren hier Milliardensummen, sondern auch deren Zulieferer und Dienstleister ziehen mit hohen Millioneninvestitionen nach.
Zulieferer und Dienstleister ziehen im Zuge der Großinvestitionen nach
So baute Adenso ein neues Logistikzentrum, feierte SEMPA Systems die Eröffnung seiner neuen Firmenzentrale, verlegt Ebara Precision Machinery Europa seinen Hauptsitz in die sächsische Landeshauptstadt, erweiterten Fäth seinen hiesigen Standort, vergrößerte Exyte seine lokale Präsenz, vergrößerte VON ARDENNE seine Reinraumfläche, investierte Air Liquide für Sachsen in eine hochmoderne Industriegas-Produktionsanlage, siedelte sich Murata Machinery Europe in Dresden an und gründete sich das Unternehmen Voxclean. Dies sind nur einige Beispiele der letzten Wochen und Monate, die die aktuelle Dynamik des Standortes unterstreichen. Insgesamt werden allein im Mikroelektronikbereich bis 2030 mindestens 30 Mrd. Euro in den Freistaat gepumpt. Neue Arbeitsplätze sowie Produktionskapazitäten entstehen und mit ihnen vollkommen neue Anforderungen bzw. Bedarfe in der Region.
Fördermittel müssen jetzt in die Infrastruktur des Freistaates fließen
Wachstum ist allerdings nicht nur ein Segen, sondern kann auch zum Fluch werden, wenn man auf ihn nicht entsprechend reagiert. Mit der Umverteilung von Fördermitteln für die Mikroelektronik in Höhe von 3 Mrd. Euro in den Infrastrukturausbau Deutschlands hätte man vermuten können, diese Erkenntnis wäre inzwischen in der Politik angekommen. Leider geht diese Fördermittelsumme wohl an den Bedürfnissen der Halbleiterbranche und auch an der Region Sachsen weitestgehend vorbei. Dabei wäre es spätestens jetzt ratsam, speziell die Infrastruktur des Freistaates zügig auszubauen. Andernfalls könnten bald die Themen Verkehr, Strom, Wasser und noch etliche mehr zum Bottleneck der hiesigen Industrie und Wirtschaft werden. Stau, Stromausfälle und Wasserknappheit wären zu befürchten. Die Region würde gebremst. Der Knall nach dem Boom wäre die Folge. Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass ASML, der Branchenprimus im Bereich der Lithografiesysteme, aktuell im niederländischen Eindhoven durch einen Strommangel bedroht wird. Eine geplante Expansion des Unternehmens am Standort wird hierdurch gebremst. Dies ist ein erster europäischer Warnschuss vor den Bug der Politik. Doch zurück in die Region Sachsen.
Schiene, Straße und Flugverkehr werden zum Bremsklotz für die Region
Noch immer ist Dresden verkehrstechnisch unzureichend angebunden. Weder die Straße noch die Schiene, noch der Flugverkehr sind auf die Bedürfnisse der kommenden Jahre und Jahrzehnte ausgerichtet. So wird seit geraumer Zeit an der aus den 90er Jahren stammenden Autobahn A4 gearbeitet – eigentlich soll sie auf 8-6 Fahrstreifen wachsen. Bislang erzeugt diese knirschende Instandhaltung jedoch mehr zusätzliche Probleme durch Staus. Entlastung ist frühestens ab 2035 geplant. Leider steht auch das große Güterverladezentrum der Deutschen Bahn in Dresden auf der Kippe. Die schnelle neue Bahnstrecke nach Prag und der Elektrifizierungslückenschluß der Strecke von Bautzen und Görlitz nach Breslau werden immer weiter nach hinten geschoben – hier ist mehr Tempo gefragt! Die einstmals als ICE-Neigezugstrecke geplanten Verbindung nach Chemnitz und Nürnberg ist in Vergessenheit geraten. Verbindungen im Personenverkehr und auch die Güterstrecke nach Polen konzentrieren sich bislang größtenteils auf Leipzig. In Summe gehen die Angebote der Bahn damit an der Hauptwachstumszone Sachsens, der Landeshauptstadt Dresden, und deren Umland vorbei.
Von Jahr zu Jahr werden zudem immer mehr Flüge an den Flughäfen Dresden und Halle/Leipzig gestrichen. Gerade Dresden mit seinen internationalen Unternehmen und der damit verbundenen internationalen Arbeitsteilung, z.B. in der Chipindustrie, braucht den Luftverkehr. Auch, weil es absehbar keine Alternativen der Bahn oder auf der Straße zu geben scheint. Etablierte Flugverbindungen nach Stuttgart (Bosch) oder an das Drehkreuz nach Amsterdam (NXP) müssen dringend wiederhergestellt werden. Nordrhein-Westfalen muss erreichbar bleiben. Neue Anbindungen wie Wien oder Barcelona wären ein Gewinn.
Zu hohe Gebühren lassen Fluggesellschaften abwandern
Gerade bei Schiene und Flugverkehr wären dringend neue Angebote nötig. Zu viel Last liegt auf den Straßen der Region. Auch der 8-streifige Ausbau der A4, wird hier nicht alle Probleme lösen können. Viele dieser Themen liegen in der Hand des Bundes. Auch hierzu sprach Sachsen Ministerpräsident Kretzschmer mit Bundeskanzler Merz, so war es zumindest im Vorfeld angekündigt. Was konkret aus diesen Gesprächen entsteht bleibt abzuwarten. Die Stellschrauben scheinen hingegen längst klar. Die Gebühren für Fluggesellschaften müssen in Deutschland schnellstmöglich sinken. Jede Landung kostet Fluggesellschaften z.B. in Dresden rund 5000,- Euro. Im nahegelegenen Prag werden hierfür 350,- Euro pro Landung aufgerufen. Es ist daher nicht unverständlich, dass Fluggesellschaften aus wirtschaftlichen Gründen Entscheidungen gegen Regionen treffen, selbst wenn diese boomen. Die Regierung hat hier eine Lösung angeboten, die es nun umzusetzen gilt. Es müssen zudem Milliarden in neue Straßen und Schienen fließen. All das muss zentral am Bereich des Dresdner Airportpark zusammenlaufen. Wann und ob dies geschieht, steht momentan jedoch in den Sternen.
Auch die Region selbst muss für Zuzug und Beschäftigungswachstum gerüstet werden
Doch auch abseits des Verkehrs warten auf Sachsen Herausforderungen, die in den kommenden Jahren zu lösen sind. Dresdens Halbleiterfabs gieren nach Strom und Wasser. Die großen Stromtrassen aus Leipzig und der Lausitz müssen in die sächsische Landeshauptstadt geleitet, das längst angekündigte Flusswasserwerk an der Elbe umgesetzt und eine Kreislauflösung für das Abwasser etabliert werden. Die steigenden Beschäftigtenzahlen in der Region, die mit einem Zuzug aus dem In- und Ausland verbunden sind, müssen sich in Wohnraum, Bildungseinrichtungen und den bereits angeschriebenen Nah- und Fernverkehrsangeboten niederschlagen. Es gilt, in allen Bereichen attraktiver zu werden und die Entwicklungen der kommenden Jahre und Jahrzehnte frühzeitig abzufragen, vorauszuplanen und ihnen mit passenden Investitionen zu begegnen. Dies sind sicher keine leichten Aufgaben, die es zu bewältigen gilt. Doch gemeinsam mit Wirtschaft, Industrie, Verbänden und vor allem der Gesellschaft sollten Lösungen schnell zu finden sein.
So schön der Drive der vergangenen und kommenden Jahre ist, müssen Sachsen und Deutschland diesen in die richtigen Bahnen lenken. Nichts wäre schlimmer, als den aktuellen Boom in eine Sackgasse zu lenken, in der ein großer Knall schließlich unausweichlich ist.
Podcast des Silicon Saxony:
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