Als im September 2023 der EU Chips Act mit großem Tamtam in Europas Schaltzentrale Brüssel verabschiedet wurde, war die Begeisterung groß. Milliarden Euro an Zuschüssen sollten in die Mikroelektronik fließen. In einen Sektor also, der zu Corona-Zeiten erstmals schmerzhaft seine globale Bedeutung als Schlüsselbranche aufzeigte. Der damals zum Bottleneck für zahlreiche Industrien wurde – speziell für den deutschen Automotive-Sektor. Nie wieder sollten die wirtschaftlichen Zugpferde Europas durch einen Mangel an Halbleitern – den umgangssprachlichen Chips – ausgebremst werden. Hierfür leitete die EU bescheidene 11 Mrd. Euro aus anderen Fördertöpfen um und widmete sie dem neuen EU Chips Act. Weitere 32 Mrd. Euro sollten die EU-Mitgliedsstaaten und die Industrie selbst aufbringen, um ein ehrgeiziges Ziel zu erreichen – die Steigerung des internationalen Marktanteils der in Europa gefertigten Mikroelektronik-Chips von zehn auf 20 Prozent. Dass zeitgleich die USA (54 Mrd. Euro), China (150 Mrd. Euro) und Korea (452 Mrd. Euro) ihrerseits irrwitzige Summen in den Ausbau ihrer Mikroelektronik-Kompetenzen steckten, schien dabei nicht mehr als eine störende Randnotiz.
33 der 48 für Deutschland geplanten EU Chips Act Milliarden werden aktuell nicht verbaut
Zumindest in Deutschland, als nur einem der insgesamt 27 Mitgliedsstaaten, wurde unabhängig von dieser internationalen Gemengelage bereits im Vorfeld des EU Chips Act geklotzt und nicht gekleckert. 20 Mrd. Euro stellte die Bundesregierung mutig zur Verfügung. Die kurz darauf kommunizierten Neuansiedlungen und Standortentscheidungen von Intel (Standort: Magdeburg; Projektkosten: 30 Mrd. Euro), Infineon (Dresden; 5 Mrd. Euro), ZF/Wolfspeed (Ensdorf; 3 Mrd. Euro) und einem Konsortium der Taiwan Semiconductor Manufacturing Company, NXP, Infineon und Bosch (Dresden; 10 Mrd. Euro) ließen aufhorchen. Würde der Rest Europas ähnlich ehrgeizig investieren und fördern, wäre selbst international einiges möglich, waren sich Expert:innen damals einig.
Ein Jahr später scheint dieser Traum ausgeträumt. Während im Rest Europas nur sporadisch neue Halbleiterprojekte, wie z.B. das Engagement von Onsemi in Tschechien bzw. der Ausbau des Infineon-Standortes in Österreich, auf der Landkarte erscheinen, liegen in Deutschland in diesen Tagen zwei der vier EU Chips Act Projekte auf Eis. Erst zog Intel den zeitnahen Baubeginn seiner 30 Mrd. Euro teuren Giga-Fab in Magdeburg zurück und bat für mindestens zwei weitere Jahre um Geduld. Vor wenigen Tagen beendeten schließlich der deutsche Automobilzulieferer ZF und das amerikanische Halbleiterunternehmen Wolfspeed ihre gemeinsamen Pläne. Auch hier wird – trotz des kompletten Ausstiegs von ZF – aktuell eine Verschiebung des Projektes um mindestens zwei Jahre angenommen. Ob sowohl Intel als auch Wolfspeed ihre ursprünglichen Pläne zukünftig überhaupt weiterverfolgen, ist reichlich ungewiss. So oder so werden 33 der ursprünglich 48 vorgesehenen Chips Act Milliarden in Deutschland vorerst nicht verbaut. Mit entsprechenden Folgen für die ursprünglich so ehrgeizigen EU-Pläne. Eine Steigerung des Europäischen Marktanteils von zehn auf zwanzig Prozent, so realistisch muss man sein, wird kurz- bis mittelfristig auf dieser Basis nicht erreicht werden können. Europa verliert vielmehr weiterhin wichtige Marktanteile in Richtung Asien und den USA.
Eine stark zyklische Branche kämpft mit dem stärksten Abschwung seit 2009/2010
Dass sowohl Intel als auch Wolfspeed aktuell auf die unternehmerische Bremse treten, hat dabei sehr stark mit den beiden Unternehmen selbst, aber eben auch mit der vergangenen und aktuellen Marktentwicklung zu tun. Der durch Corona verursachte Halbleiter-Engpass samt gleichzeitigem Abschwung des Bereiches bis zum Ende des Jahres 2020 führte in der Folge zu einem rasanten Wachstum des Marktes. Dieses erreichte seinen Höhepunkt im März 2022. Bereits 2023, also im Jahr des EU Chips Act, hatte sich die Marktlage jedoch wieder deutlich abgekühlt, auch wenn der Hype um die Branche weiterhin anhielt. Einer Phase der starken Nachfrage folgte nun eine Phase der Überproduktion. Nichts Ungewöhnliches für die Halbleiterbranche. Bereits seit den späten 90er Jahren wechseln sich die Bedürfnisse des Marktes periodisch ab – zumeist im Takt zwischen 30 und 50 Monaten (von Markthöhepunkt zu Markthöhepunkt). So forderten u.a. die Jahre 2008 bis 2010 den Halbleitersektor enorm. Auch damals befand sich der Halbleitermarkt in einem Abschwung, kämpften einige Mikroelektronikunternehmen mit ihrer Wirtschaftlichkeit. So kam es z.B. im Silicon Saxony zu einer Aufsehen erregenden Insolvenz. Mit Qimonda verschwand im Januar 2009 ein spannendes Halbleiterunternehmen von der Mikroelektronik-Karte, das sich auf die Produktion von Speicherchips spezialisiert hatte. Seitdem ist Europa in diesem Bereich komplett ohne eigene Fertigung unterwegs. Der jetzige Abschwung des Mikroelektronik-Sektors ist mit der damaligen Situation durchaus vergleichbar.
Intel und Wolfspeed befinden sich im Transformationsprozess – Der Markt hilft dabei wenig
Gerade die beiden zentralen Themen dieser Zeit, der Wandel der Energieversorgung als auch der Wandel im Bereich der Mobilität haben in der deutschen Halbleiterbranche viele Hoffnungen geweckt. Eingetreten ist davon bislang wenig. Sowohl im Bereich der Energie als auch im Bereich der Mobilität kommen die deutschen und europäischen Player nicht wirklich voran. Speziell der Automotive-Sektor, der in den Corona-Jahren einer der Hauptgründe für den Ausbau des Halbleiterbereichs war, kämpft hierzulande mit geringen Absätzen, Umsätzen und schwindenden Begehrlichkeiten – auch im Halbleitersektor. Dass die Automotive-Branche perspektivisch die Halbleiterei und hier vor allem spezialisierte Projekte, wie z.B. die SiC- Halbleiterherstellung von Infineon, Onsemi oder auch Wolfspeed, befeuern wird, ist unbestritten. Ein E-Auto benötigt schließlich doppelt so viele Mikrochips, wie ein Verbrenner. Aktuell strauchelt jedoch der Absatz von E-Fahrzeugen (gerade der deutschen Premiummarken) und damit der Bedarf entsprechender Halbleiterlösungen.
Doch auch gesamtwirtschaftlich befinden wir uns aktuell in wenig rosigen Zeiten. Intel, das weder mit dem Automotive-Sektor noch mit dem Energie-Sektor eng verknüpft ist, fehlen vor allem externe Kunden. Das Hauptgeschäft der Prozessorenproduktion schwächelt. Das Unternehmen steckt tief in den roten Zahlen und leidet unter dem Druck seiner Investoren. Wolfspeed als auch Intel sind daher seit einiger Zeit mit herausfordernden Neustrukturierungen beschäftigt. Neben umfangreichen Entlassungen stehen hier eben auch bestehende und zukünftige Standorte zur Diskussion. Dass beide Unternehmen, wie eben auch der angeschlagene Automotive-Zulieferer ZF, sich trotz Milliardenförderung um nicht unbedingt notwendige Investitionen drücken, kommt daher nicht überraschend. Zehntausende Arbeitsplätze sollen schließlich bei allen drei Playern in den kommenden Jahren eingespart werden. In diesem Umfeld zu investieren, würde nicht nur in Deutschland für Unverständnis sorgen.
Neuansiedlungen und Standorterweiterung funktionieren allein im Silicon Saxony
Ihre jüngsten Projekte im mikroelektronischen Nirgendwo zu platzieren, half dabei weder Intel noch Wolfspeed, so ehrlich muss man sein. Magdeburg im Fall von Intel oder Ensdorf im Fall von Wolfspeed sind keine etablierten Halbleiterstandorte. Hier auf der grünen Wiese neue Werke zu errichten, war von vornherein herausfordernd. Anders als im Silicon Saxony fehlen in den genannten Regionen wichtige Zulieferer, Strukturen, Erfahrungen und vor allem Fachkräfte. Es verwundert daher kaum, dass diese beiden Wetten sich in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten nicht auszahlen wollten bzw. zusätzliche Probleme verursachten. Anders sieht es derzeit bei Infineon und der European Semiconductor Manufacturing Company (ESMC), einem Konsortium aus TSMC, Bosch, NXP und Infineon, aus. Beide verbliebenen EU Chips Act Projekte setzten von vornherein auf den größten Halbleiterstandort in Europa und eine klare, auf Europa ausgerichtete Strategie. Sowohl Infineon als auch ESMC kommunizieren zudem am Standort offen die eigenen Pläne und informieren fortlaufend über Bau- und Projektfortschritte. Während Intel in Europa die Kunden fehlen und Wolfspeed noch immer mit seinen getätigten Investitionen für den konsequenten Umstieg auf Siliziumkarbid-Halbleiter kämpft, können ESMC und Infineon darüber hinaus auf solide erarbeitete wirtschaftliche Grundlagen und den erfolgreichsten Mikroelektronik-Standort Europas bauen. Inmitten der seit Ende 2022 anhaltenden Marktabkühlung bauen beide Unternehmen derzeit Kapazitäten auf, die laut aktuellen Prognosen ab 2025 dringend benötigt werden. Denn spätestens dann soll sich der Halbleitermarkt wieder deutlich erholen und der Bedarf an Chips signifikant steigen. Eine klare Strategie und das Besinnen auf die eigenen Stärken helfen beiden Unternehmen, den eingeschlagenen Weg auch in herausfordernden Zeiten zu meistern.
Strategie macht den Unterschied – Deutschland und Europa brauchen neue Ziele
Und genau diese Herangehensweise ist es auch, die Deutschland und Europa erst erarbeiten müssen. Der EU Chips Act war sicher gut gedacht. Am Ende war er jedoch leider schlecht gemacht. Um Industriesektoren sinnvoll und zielgerichtet auszubauen, bedarf es einer klaren Strategie und einem darauf abgestimmten Handeln. Geld allein konnte nie Herausforderungen lösen, denen Halbleiterunternehmen in einem zyklischen Marktumfeld ausgesetzt sind. Es wäre Deutschland und Europa zu wünschen, dass zuletzt gezeigte strategische Ansätze, wie der Draghi-Report, weiterentwickelt und konkretisiert würden. Es gilt Stärken und Schwächen klar zu benennen. Wege zu finden, Deutschlands und Europas Industrien wettbewerbsfähig zu halten. Nicht zuletzt muss man sich von alleinig sektorspezifischen Zielen wie Marktanteilen lösen und sein mikroelektronisches Handeln wieder stärker auf die Anwenderbranchen ausrichten. Denn nur was in Europa vorhanden ist, kann auch bedient werden. Nur was benötigt wird, findet hierzulande auch seinen Absatz.
Eine schonungslose Analyse aller Wirtschafts- und Industriesektoren sowie deren Bedürfnisse sollte im kommenden Jahr zur Grundlage des weiteren strategischen Handelns werden. Zu hoffen, dass Intel oder Wolfspeed ihre getroffenen Zusagen einhalten werden, ist dabei nicht verboten. Es gilt aber auch neue Wege, die richtigen Player, die passenden Absatzmärkte und die dringendsten Notwendigkeiten zu identifizieren und zu fördern. Nur so kann aus den Enttäuschungen der letzten Wochen noch ein starker und funktionierender EU Chips Act werden. Nur so kann Europa sich im Halbleitersektor unabhängiger bzw. schlagkräftiger aufstellen.
Foto: Intel