
Die Internationale Automobilausstellung (IAA) fand vom 9. bis 14. September 2025 in München statt. Erstmals dominierten hier nicht die deutschen Hersteller und Zulieferer. Vielmehr wurde deutlich, unter welchem Druck die gesamteuropäische Automotiv-Industrie mit ihren deutschen Flaggschiffen VW, BMW und Mercedes steht. Allein 116 chinesische Fahrzeughersteller und Zulieferer präsentierten ihre Produkte in der bayrischen Landeshauptstadt. 75 waren es 2024. Noch ist Europa eine Verkaufsfestung für die deutschen Automobilhersteller, das ist die gute Nachricht. 45 Prozent Marktanteil (40 Prozent bei Elektrofahrzeugen) stehen hier 4,7 Prozent (2,8 in 2023) der chinesischen Unternehmen entgegen. International sieht es hingegen ganz anders aus. Nur noch magere 12,8 Prozent Marktanteil verzeichnen die einst Weltmarkt bestimmenden deutschen Automobil-Schwergewichte hier. Die Gewinne von BMW (um 26 Prozent), Mercedes (60 Prozent) und VW (39 Prozent) brachen im ersten Halbjahr 2025 global und drastisch ein. Porsche traf es mit einem Gewinnrückgang von 90 Prozent besonders hart.
Für Europas Automotive-Industrie heißt es Transformation oder Untergang
Entsprechend laut waren im Vorfeld der IAA die Stimmen, die die Münchner Automobilausstellung zur Wegscheide für Europas Fahrzeughersteller deklarierten. Zünden die neuen Modelle und Technologien hier und in der Folge auf den internationalen Märkten nicht, warten schwere Zeiten – nicht nur für die deutschen Hersteller, sondern für die gesamte europäische Automotive-Industrie. Würde die zweite Generation der europäischen E-Autos ähnlich scheitern, wie es die erste Generation tat, drohen Arbeitsplatzverluste in sechsstelliger Größenordnung. Schon jetzt werden in Deutschland massiv Stellen reduziert, teilweise auch ins europäische und internationale Ausland verlagert. Allein VW streicht aktuell 35.000 Jobs. Es könnte jedoch noch weitaus schlimmer kommen, wie Analysten (u.a. McKinsey) warnen. 440 Mrd. Euro Wertschöpfung könnten bei einer scheiternden Automotive-Transformation bis 2035 in Europa verloren gehen. Gerade die deutsche Automobilindustrie als Zugpferd der deutschen Wirtschaft muss daher den letzten Abzweig vor dem drohenden Abgrund nehmen.
VW, BMW und Mercedes haben den Ruf der Stunde erkannt
Was nun vor allem VW, BMW und Mercedes in München präsentierten, machte jedoch Mut. Die Milliardeninvestitionen der vergangenen Jahre – auch damit sind die Gewinneinbußen zu erklären – scheinen sich gelohnt zu haben. Neue, frische Modelle, neue, längst notwendige Technologien wurden vorgestellt. Auf ganzer Bandbreite zeigten Europa und allen voran Deutschland, dass sie noch immer den Autobau und technologische Innovationen beherrschen. Zulieferer wie Bosch bewiesen u.a. mit ihren Lösungen für das autonome Fahren, dass sie in der Lage sind, chinesische und amerikanische Unternehmen hinter sich zu lassen. Neue Assistenzsysteme, neue Ladesysteme (800-Volt-Architektur), ein stärkerer Fokus auf konkurrenzfähige Software und modernste Elektronik zeigten, dass man von China und dessen Automotive-Flut nicht überrollt werden möchte. Man hat die Zeichen der Zeit erkannt und berappelt sich, angetrieben vom chinesischen Atem im eigenen Nacken.
Die Frage ist: Hat Europas Automobilindustrie auch die Bedeutung der Mikroelektronik für ihren zukünftigen Erfolg erkannt?
Mikroelektronik als Schlüssel für den zukünftigen Erfolg der Automobilbranche
Zwischen 1.000 und 8.000 Leistungshalbleiter, Speicherchips, Sensoren und Mikrocontroller steuern heute die wichtigsten Funktionen eines Fahrzeuges. Vom Airbag über Assistenzsysteme bis zur Lade- oder Motorsteuerung werden nahezu alle Funktionen eines modernen Fahrzeugs durch Halbleiter geregelt. Jede Innovation im Automobilbau ist eng mit den teils winzigen elektronischen Bauteilen verbunden. Was bei Versorgungsengpässen, gestörten Lieferketten und Unterproduktionen droht, zeigte die Corona-Pandemie. Ganze Werke standen damals still. Milliardenverluste waren die Folge. Lagen zu Corona-Zeiten noch hauptsächlich Verbrenner und die erste Generation der E-Mobilität im Fokus, und damit ein weitaus geringerer Bedarf an Halbleiterprodukten, stieg der Halbleiterbedarf in den modernsten Fahrzeuggenerationen seither rapide und massiv an. Grund genug für die Unternehmungsberatung Yole Group, ein Whitepaper unter dem vielsagenden Titel „Gang wechseln: Halbleiter als Herzstück des nächsten Kapitels der Automobilindustrie – wie Elektrifizierung, ADAS und Digitalisierung die Führung im Bereich der Automobilhalbleiter neugestaltet “ zu veröffentlichen. Auf 19 Seiten umreißt Yole die aktuellen Herausforderungen für den modernen Fahrzeugbau und auch die europäische bzw. internationale Halbleiterindustrie.
Ein neuer Chip-Boom ist eng mit den Neuentwicklungen im Fahrzeugbau verbunden
Dominierten noch in den vergangenen Jahren Halbleiterknoten in der Größe 180-90nm den Automobilbereich, wächst in der Zwischenzeit der Bedarf an kleineren (90 bis 26nm) und kleinsten (26 bis 5nm) Halbleiterprodukten. Schon jetzt sind Produkte von unter 5nm u.a. von TSMC und Samsung angekündigt. Ab 2026 sollen letztere erstmals verfügbar sein. Und genau hier beginnt für bzw. in Europa das Problem. Noch haben europäische Halbleiterunternehmen (z.B. Infineon, NXP und STMicroelectronics) im Automotive-Sektor einen internationalen Marktanteil von 35 Prozent und liegen damit nur einen Prozentpunkt hinter den aktuell führenden amerikanischen Halbleiterunternehmen (z.B. Nvidia, AMD und Qualcomm). Auf Platz drei folgt Japan mit einem Marktanteil von 19 Prozent. Europa setzt in diesem Umfeld vor allem auf Leistungselektronik in den Größen 40 bis 90nm. Bislang zählten diese Bauteile zu den wichtigsten und meistverbauten im Automotivebereich. Doch mit dem Wandel im Fahrzeugbau wandeln sich auch zunehmend die Bedarfe im Bereich der Halbleiterprodukte. Das Auto als fahrendes Entertainment-Center, mit zunehmend autonomen Fahrfunktionen benötigt zunehmend auch kleinere, leistungsstärkere und energieeffizientere Bauteile.
Europa produziert 40 bis 90nm-Produkte, benötigt aber zunehmend Halbleiter unter 10nm
Und genau hier geht z.B. China einen anderen Weg als Europa. Als Lehre aus den Corona-Jahren verpflichtete die chinesische Staatsführung ihre Unternehmen, mindestens 25 Prozent der in den eigenen Automotive-Produkten verbauten Halbleiter aus eigener Produktion zu beziehen. Gelingt dies aktuell vor allem durch den Einsatz ausgereifter Halbleiterprodukte in den Größen bis 40nm, zieht China auch zunehmend in den fortschrittlicheren (bis 28nm) und neuesten (bis 5nm) Halbleitergenerationen nach. So liefert das chinesische Unternehmen Horizon Robotics bereits 7nm-Produkte an seine Kunden wie BYD. Und genau diese Produkte sind der Treiber für modernste Fahr- und Entertainmentfunktionen. Speziell im Bereich des autonomen Fahrens werden zunehmend Bauteile von unter 10nm für den Fahrzeugbau benötigt. Teile also, die aktuell nicht von europäischen Halbleiterherstellern und nicht auf europäischem Boden produziert werden können. Hier sind Europa und damit auch Deutschlands Autobauer auf amerikanische, taiwanesische, japanische und chinesische Produzenten angewiesen. Eine Abhängigkeit, die derzeit noch keine Probleme schafft, bei einer veränderten weltpolitischen Lage oder im Rahmen evtl. Handelskriege perspektivisch aber schaffen kann. Und auch in diesem Punkt zeigen China bzw. chinesische Automotive-Hersteller wie BYD und Nio, was möglich ist. Aufgrund von Handelsbeschränkungen der USA im Bereich von Halbleitern unter 10nm und der für die Produktion dieser Halbleiter notwendigen EUV-Lithografie-Geräten wurde China in den vergangenen Jahren kreativ. Mit Hilfe der DUV-Lithografie können inzwischen Halbleiterprodukte unter 7nm produziert werden. Bis 2026 sollen sogar Produkte von unter 5nm folgen – so lauten zumindest die Gerüchte. Chinesische Autobauer sehen diese Produktion als entscheidend an und treiben diese eigenständig mit nationalen Partnern voran. Ein Schritt, den man in Deutschland und Europa bislang vermeidet. Womöglich ein Fehler.
Europas Autobauer sind international abhängig. Es braucht eine Halbleiterstrategie.
Denn moderne Fahrfunktionen und technologische Innovationen sind eng mit den kleinsten Mikroelektronikprodukten unter 10nm verbunden. Advanced Driver Assistance Systems (ADAS oder fortschrittliche Fahrerassistenzsysteme) machen bereits heute den Unterschied zwischen einem Automotive-Bestseller und einem Ladenhüter aus. Diese Erfahrung sollten die deutschen Automobilbauer bereits mit ihrer ersten Generation elektrischer und teilautonomer Fahrzeuge gesammelt haben. Nicht nur das Design verhinderte bislang den großen internationalen Erfolg von VW, BMW und Mercedes. Es waren vielmehr Preis, Leistung und die inzwischen so wichtigen Punkte Software, Unterhaltungselektronik und Fahrassistenzsysteme. Will Europas Automotive-Branche in diesen Bereichen langfristig und unabhängig erfolgreich werden, muss man speziell im Bereich der Halbleiterproduktion neue Wege gehen. Standorte wie Sachsen und hier speziell Dresden zu fördern, ist ein erster wichtiger Schritt. Mit der Erweiterung des hiesigen Infineon-Werkes um ein neues Modul sowie die Neuansiedlung der European Semiconductor Manufacturing Company (ESMC) wurden wichtige Player für den Automotive-Bereich gestärkt bzw. hinzugewonnen. Beide EU Chips Act Projekte mit einem Gesamtfördervolumen von 15 Mrd. Euro liegen im Plan. Doch das kann nur der Anfang sein.
Es gilt, Produktionskapazitäten für kleinste und modernste Halbleiterprodukte unter 10nm zu schaffen. Es bedarf auch einer Strategie, um langfristig mit Playern wie den USA und China mithalten zu können. Deutschland arbeitet aktuell an seiner eigenen Halbleiterstrategie. In der vor kurzem veröffentlichten Hightech-Agenda der Bundesregierung sind gute Ansätze für das Zusammenspiel des Automotive-Sektors mit der Halbleiter-Branche zu erkennen. Auch Europa hat spätestens seit dem Draghi-Report das Thema auf dem Schirm. Viel Zeit sollte für die Umsetzung dennoch nicht verschwendet werden. Der frische Schwung, den deutsche und europäische Automotive-Unternehmen bei der IAA in München gezeigt haben, darf langfristig nicht von den kleinsten Bauteilen eines modernen Autos ausgebremst werden. Erneut steht das Buzzword „Technologiesouveränität“ im Fokus. Und an diesem gilt es jetzt zu arbeiten.
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Weiterführende Links
👉 AUTOMOTIVE WHITE PAPER – SHIFTING GEARS: SEMICONDUCTORS AT THE HEART OF AUTOMOTIVE’S NEXT CHAPTER (Vol.2)
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