Mikroelektronik

Richtige Entscheidungen zur richtigen Zeit – Wie Sachsen der Mikroelektronikhotspot Europas wurde

Der Physiker Werner Hartmann (1912-1988) gilt als Vater des heutigen Silicon Saxony. 1961 gründete er die „Arbeitsstelle für Molekularelektronik“ (AME) in Dresden-Klotzsche. Hier wuchsen die Mikroelektronik-Träume der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Hier wurde der erste ostdeutschen Megabit-Chip mitentwickelt. Bis heute gilt das AME als Geburtsort von Europas größter und erfolgreichster Mikroelektronik-Region. Einer Region, die erst nach der politischen Wende im Jahr 1990 und dank der klugen Entscheidungen eines in Westdeutschland geborenen Ministerpräsidenten Sachsens zu Einzigartigem heranwuchs. Eine Erfolgsgeschichte, geprägt von glücklichen Fügungen und typisch sächsischer Beharrlichkeit.

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Innenansicht der GlobalFoundries Fab in Dresden. Foto: GlobalFoundries

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1960 machte das US-amerikanische Unternehmen Texas Instruments auf sich aufmerksam. Jack Kilby entwickelte hier den weltweit ersten integrierten Festkörperschaltkreis – einen „Chip in eine neue Technikwelt“. Selbst in der weitestgehend abgeschotteten Deutschen Demokratischen Republik (DDR) blieb diese Nachricht nicht unbemerkt. Der Physiker Werner Hartmann erkannte deren Bedeutung sofort und meinte, man dürfe im Bereich der Mikroelektronik nicht zögern. Die politische Führung der DDR sah dies ein wenig anders und setzte stattdessen auf die Kernphysik. Hartmann jedoch blieb hartnäckig und erreichte am 1. August 1961 endlich einen ersten Teilerfolg. Mit der Gründung der Arbeitsstelle für Molekularelektronik (AME) in Dresden-Klotzsche kam die Mikroelektronik erstmals nach Sachsen. Der Beginn einer faszinierenden Geschichte, deren Ende auch heute noch lange nicht in Sicht ist.

1960 bis 1990: Die Anfänge der Mikroelektronik in der DDR

Mit sieben Mitarbeiter:innen begann Werner Hartmann 1961 eine Aufholjagd, die nie zu gewinnen war. Zwar wuchs die Zahl seiner Mitstreiter:innen ständig, es sollte dennoch bis 1968 dauern, bevor der erste große Erfolg gelang – die Präparation des ersten Festkörperschalterkreises der DDR, dem C10 mit sieben Transistoren. Trotz dieser und zahlreicher weiterer beeindruckender Errungenschaften des ebenso kreativen wie innovativen Hartmann-Teams blieb die Mikroelektronik im Osten Deutschlands ein Stiefkind. Als im Mai 1971 Erich Honecker seinen Vorgänger Walter Ulbrich als SED-Vorsitzender beerbte, wurden die Investitionen in die Mikroelektronik – trotz all des bereits Erreichten, auch im Bereich der Devisenbeschaffung – erheblich gekürzt. Hartmann blieb dennoch ehrgeizig und baute „seine“ AME bis 1974 auf 950 Angestellte aus. Doch längst war das Misstrauen der Staatssicherheit in seine Person geweckt. Im Juni 1974 wurde Hartmann unvermittelt beurlaubt und erhielt bei der AME sogar Hausverbot. Obwohl ihm nie ein Fehlverhalten und schon gar keine Spionage nachzuweisen war, geriet der Vater der Ostdeutschen Mikroelektronik auf das Abstellgleis. Hartmann starb im Jahr 1988 und damit noch vor der politischen Wende.

Die AME hingegen wurde mehrfach umfirmiert und schließlich unter dem Namen „Zentrum Mikroelektronik Dresden (ZMD)“ bis zur Wendezeit im Jahr 1990 und darüber hinaus weitergeführt. Mit der Entwicklung des ersten Megabit-Chips der DDR feierte ZMD zu Ostzeiten seinen größten Erfolg. Produziert wurde das Meisterstück der ZMD hingegen nie. Es fehlten die hierfür notwendigen Maschinen. Mehr als 3.300 Beschäftigte zählte das Unternehmen schließlich im Jahr des Mauerfalls. All die klugen Köpfe, die in den Zeiten des Mangels und der Planwirtschaft in Dresden gefördert sowie gefordert waren, blieben als großes Erbe. Sie waren es auch, die Sachsen für die westliche Mikroelektronik interessant gestalteten. Ein Pfund, das mit mehreren Jahren Verzug, Sachsen zu dem Mikroelektronik-Hotspot in Europa machen sollte. Auch die ZMD blieb in gewisser Weise Sachsen erhalten, gehört heute zu einem Teil dem japanischen Konzern Renesas Electronics und zum anderen dem Unternehmen X-FAB. Beide sind weiterhin in Dresden aktiv.

1990 bis 2023: Von einem Leuchtturm zu der Mikroelektronik-Region Europas

Im sächsischen Freistaat setzte man bereits kurz nach der politischen Wende, also im Jahr 1990, auf die Politik der sogenannten „Cluster“ oder „Leuchttürme“. Erfinder oder besser Erdenker dieser speziellen Art der Firmenansiedlungspolitik waren Sachsens damaliger Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (geboren in der Pfalz) und sein Finanzminister Georg Milbradt (geboren im Sauerland) – beides westdeutsche Politiker. Ihr Vorzeigeprojekt wurde die Region Dresden. Die sächsische Landeshauptstadt sollte ein florierender Ort für nationale, europäische und internationale Halbleiterunternehmen werden.

Die „Leuchtturmpolitik“ war damals ein höchst umstrittenes Konzept, das sich einiger Kritik erwehren musste. Regionalpolitiker warfen der sächsischen Staatsregierung eine einseitige Bevorzugung der Landeshauptstadt vor. Chemnitz und Leipzig würden zurückfallen, von den ländlichen Räumen ganz zu schweigen. Doch das Konzept funktionierte und war aus heutiger Sicht ebenso clever wie weitsichtig. Schließlich verband es die Stärken und Potenziale Sachsens mit den Wünschen der Hochtechnologie. Denn diese suchte speziell zur Nachwendezeit nach passenden Standorten, um ihre Expansion in den Osten und damit in neue lohnende Märkte voranzutreiben.

Mit ZMD und den mehr als 3.000 Halbleiterexpert:innen in der Region gab es bereits gute Argumente für Dresden. Zudem war hier mit der Technischen Universität Dresden (TU Dresden) eine ausgezeichnete Hochschule, die nach 1990 eine rasante Entwicklung verzeichnete, zuhause. So wurden an TU Dresden 1991 unter anderem die Fakultät Informatik und die Fakultät Elektrotechnik gegründet. Weitere gute Argumente für die Region, abgesehen von der typisch sächsischen Beharrlichkeit mit der inzwischen auch die eingebürgerten Biedenkopf und Milbradt für ihren Standort warben.

Mit SAW Components im Jahr 1993 und Siemens im Jahr 1994 eröffneten die ersten beiden Halbleiterunternehmen in Dresden einen Standort für die Mikroelektronikfertigung. Es sollten nicht der letzten bleiben. Heute firmiert das ehemalige Siemens-Werk unter dem Namen Infineon und beschäftigt rund 3.500 Mitarbeitende. 1996 gründete zudem der US-amerikanische Konzern Advanced Micro Devices (AMD) in Dresden seine Tochterfirma AMD Saxony LLC & Co. KG und baute am Rande der sächsischen Landeshauptstadt ein Werk für die Prozessorfertigung. 2005 folgte schließlich ein zweites AMD-Werk. Im Jahr 2009 übernahm die neu gegründete GlobalFoundries Inc. die beiden Fabs. GlobalFoundries ist ein reiner Auftragsfertiger und beschäftigt in seinem weltweit größten Werk in Dresden inzwischen über 3.000 Mitarbeitende.

Rund um diese ersten Fabs entstand ein Ökosystem, dass nicht nur deutschland-, sondern sogar europaweit seinesgleichen sucht. Hunderte Dienstleister und Zulieferer siedelten sich speziell in der Region Dresden an. Mittelständler, die bis heute das Rückgrat der ostdeutschen Wirtschafts- und Industrielandschaft bilden. In und um Dresden herum bildete sich ein Wertschöpfungsnetzwerk, dass nahezu vollständig und damit einzigartig ist. Ob Masken, Wafer, Maschinen und Anlagen, Software, Chip-Design oder Chemikalien – Sachsen wurde zum Mekka der Halbleitertechnologie.

Im Juni 2021 folgte schließlich der nächste große Triumph einer Region, die seit der Wende im Jahr 1990 die genannten perfekten Bedingungen für die Halbleiterei schuf. In einem weltweiten Wettstreit setzte sich Dresden keinesfalls überraschend gegen die starke Konkurrenz aus Singapur und New York durch. Mit Robert Bosch Semiconductor Manufacturing siedelte sich, nach beeindruckenden Wachstumsjahren des Clusters, das nächste große Werk im Dresdner Norden an. Hunderte Zulieferer und Dienstleistern in der Region boten nun auch für Bosch die perfekten Voraussetzungen. 500 Mitarbeitende sind heute in Dresdens jüngstem Werk beschäftigt.

Mit dem EU Chips Act im Jahr 2023 folgte schließlich ein wahrer Investitionspush. Sowohl Infineon (5 Mrd. Euro), Jenoptik (70 Mio. Euro) als die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC) in Kooperation mit Infineon, Bosch und NXP (10 Mrd. Euro) kündigten neue Werke in Dresden an. Auch GlobalFoundries prüft aktuell eine Erweiterung seiner schon jetzt weltweit größten Fab. Es werden, soviel scheint inzwischen sicher, nicht die letzten Investitionen am Standort gewesen sein. Dresden ist heute die größte und erfolgreichste Mikroelektronik-Region Europas. Jeder dritte in Europa gefertigte Chip kommt von hier. Den Grundstein hierfür legten in den 60er Jahren ein Visionär und sieben Angestellte. Ein kleiner Anfang, der sich zu Großartigem entwickelte.

Buchempfehlungen:

👉 „Der Chip Krieg“ von Chris Miller
👉 Silicon Saxony – die Story
👉 „Werner Hartmann, Wegbereiter der Mikroelektronik in der DDR“

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Dieser Artikel ist erstmalig im Rahmen unseres Magazins NEXT „Im Fokus: Mikroelektronik“ erschienen.

👉 Zur Gesamtausgabe des Magazins

Foto: GlobalFoundries

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