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Projekt „COLLISION ZERO“ – Kinder und Jugendliche erleben Gefahren im Straßenverkehr, ohne gefährdet zu sein

Im vergangenen Jahr (2023) wurden 44.767 Kinder und Jugendliche im Alter von 1 bis 18 Jahren im deutschen Straßenverkehr verletzt, 115 Kinder und Jugendliche starben. Aller zwölf Minuten verunglückt ein Kind oder ein Jugendlicher im Straßenverkehr. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes sind nur schwer zu ertragen. Schließlich ist jedes verletzte oder getötete Kind eines zu viel. Dabei wird nur jeder zweite Unfall dieser Altersgruppe tatsächlich von ihr verursacht. Zahlreiche der kritischen oder sogar fatalen Verkehrssituationen ließen sich dennoch durch eine verstärkte Aufmerksamkeit dieser Zielgruppe verhindern. Manchmal genügt es bereits, auf das eigene Recht zu verzichten, dem vermeintlich stärkeren Verkehrsteilnehmenden den Vorrang zu gewähren. Doch wie lassen sich derartige Entscheidungen von Kindern und Jugendlichen treffen, wenn sie bestimmte kritische Situationen zuvor noch nie erlebt haben?

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COLLISION ZERO zeigt Kindern und Jugendlichen die Gefahren des Verkehrs auf. Foto: COLLSION ZERO

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Genau hier setzt das Projekt COLLISION ZERO des Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI und der Agentur Wildstyle Network an. Kein Kind soll im Straßenverkehr zu Schaden kommen, lautet das ehrgeizige Ziel. Eine Plattform soll entstehen, die Unfälle von Kindern und Jugendlichen nicht nur deutschlandweit dokumentiert, sondern diese für die aktuellen und kommenden Generationen auch in Form von möglichst realistischen 3D-Simulationen und mittels modernster VR-Technik erlebbar macht. Der Clou dabei: Dank der EUSKa-Plattform (Elektronische UnfalltypenSteckKarte) der Polizei können perspektivisch sämtliche Unfalldaten aus allen Regionen Deutschlands für die Simulationen genutzt werden. Bislang stehen dem Projekt entsprechende Daten aus Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Bayern, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz, Hessen, Bremen und Hamburg zur Verfügung. Statt Kinder also mit standardisierten Unfällen von unbekannten Orten zu konfrontieren, wird COLLISION ZERO Unfallschwerpunkte aus der unmittelbaren Umgebung, z.B. im Umkreis der jeweiligen Schule, der Kinder und Jugendlichen visualisieren. Schließlich verunglücken Heranwachsende am häufigsten auf dem Weg zur oder von der Schule. In dem Projekt nicht nur die häufigsten kritischen Verkehrssituationen für die Sensibilisierung zu verwenden, sondern auch die gefährlichsten Unfallschwerpunkte in der direkten Umgebung dieser Altersgruppe aufzuzeigen, ergibt daher durchweg Sinn.


PAPS XR-Imagefilm. Video: COLLISION ZERO

Neun- bis Fünfzehnjährige als Zielgruppe – Die vergessene Altersgruppe

Als erste Hauptzielgruppe haben Projektleiterin Nora Strauzenberg, Verkehrspsychologin am Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI, und ihr Team die Neun- bis Fünfzehnjährigen auserkoren – die „vergessene Altersgruppe“. Denn gehören in Kindergarten und Grundschule noch Verkehrserziehungskurse und Besuche der Polizei zum festen Bildungsauftrag, wird später – zumeist bis zum Beginn der Führerscheinausbildung – zu wenig in dieser Hinsicht getan. Für Nora Strauzenberg unverständlich, da genau diese Alterskohorte statistisch zu den am stärksten gefährdeten im Straßenverkehr gehört. „Die frühen Verkehrserziehungskurse sind in diesem Alter zumeist in Vergessenheit geraten. Regelmäßige Auffrischungskurse gibt es nicht. Der Wechsel auf eine weiterführende Schule ist oft mit weiteren und unbekannten Wegen verbunden. Zudem befinden sich die Kinder und Jugendlichen in einer Phase ihres Lebens – der Pubertät – in der sie vermehrt Risiken eingehen und sich beweisen wollen. Während die allgemeinen Unfallzahlen rückläufig sind, steigen daher die Unfallzahlen in dieser Altersgruppe – gerade bei Radfahrenden.“

Wie Kinder und Jugendliche besser geschützt bzw. auf kritische Verkehrssituationen vorbereitet werden können, erforschte Nora Strauzenberg bereits im Rahmen der Fraunhofer IVI Accident Prevention School (FAPS) – dem Vorgängerprojekt von COLLISION ZERO, das 2017 mit dem Deutschen Mobilitätspreis ausgezeichnet wurde. Schon damals wurden 2D- und 3D-Simulationen von Unfallszenarien für die Sensibilisierung der Heranwachsenden genutzt, allerdings auf Tablets und großen Touchscreens. Erste Versuche mit VR-Brillen folgten. Die Ergebnisse waren vielversprechend. Schon damals zeigten sich die besuchten Klassenverbände in den kurzweiligen Lehreinheiten hochmotiviert und interessiert. Das erlernte Wissen war auch lange nach den Besuchen des Fraunhofer IVI noch präsent. Lehrerinnen und Lehrer, Eltern und speziell die Kinder und Jugendlichen zeigten sich begeistert.

VR-Brillen als Schutz – Aufmerksamkeit schaffen, heißt Erinnerungen schaffen

In den Räumlichkeiten der Agentur Wildstyle Network in Dresden präsentiert Nora Strauzenberg die bereits entwickelten VR-Inhalte daher nicht ohne Stolz. Das erste Testszenario ist schnell geladen und führt die Nutzerinnen und Nutzer vorerst in ein Menü. Drei Auswahlmöglichkeiten stehen zur Verfügung, die Sicht eines beteiligten Lkw-Fahrenden, eines Fahrradfahrenden und eines unbeteiligten Passanten. Zuerst das Fahrrad: Als Kind radelt man eine urbane Hauptstraße entlang, in Richtung einer Kreuzung. Ein Lkw fährt langsam an einem vorbei, blinkt rechts und biegt im Kreuzungsbereich unvermittelt ab. Der Versuch zu bremsen scheitert. Ein Alptraum für alle. Nun dieselbe Situation aus Sicht des Lkw-Fahrenden: Man fährt eine Straße in der Innenstadt entlang, vorbei an parkenden Autos und mit geringem Abstand zum parallel verlaufenden Fahrradweg. Der Lkw blinkt. Die Person hinterm Steuer blickt in den Spiegel. Dann ein letzter prüfender Schulterblick. Nichts zu sehen. Das Lenkrad schlägt ein. Der Lkw ruckelt und steht. Der dritte Blickwinkel, also jener des Passanten lässt das Geschehene noch einmal erfassen. Man möchte dem Kind zurufen „BREMS!“, doch schon ist es spät.

Eindrücklich wird klar, wie unterschiedlich Verkehrssituationen tagtäglich wahrgenommen werden. Der tote Winkel des Lkw. Die eigentliche Vorfahrt eines Radfahrenden. Die freie Sicht und Hilflosigkeit eines Passanten. Mögliche Lösungen gilt es kurz darauf zu diskutieren. Hätte der Lkw-Fahrende trotz scheinbar freier Straße anhalten müssen? Hätte der Radfahrende auf seine Vorfahrt vorausschauend verzichten sollen? Die Lösung ist einfach, wird aber erst nach diesem kleinen Schreckmoment tatsächlich deutlich. „Kinder und Jugendliche lernen durch Erleben. Doch manche Situationen sollten Heranwachsende im wahren Leben nie erfahren müssen. Genau hier kommt unser Projekt COLLISION ZERO ins Spiel“, erklärt Nora Strauzenberg. Nach einer intensiven Explorationsphase im Jahr 2023 wurde 2024 bereits der erste Prototyp der VR-Anwendung fertiggestellt. Studien, weitere Prototypen, zahlreiche Tests und Systementwicklungen werden bis zum Projektende 2026 noch folgen. Nach und nach entstehen so eine App, ein Webportal sowie die finale VR-Plattform. Mit Wildstyle Network wissen Nora Strauzenberg und das Fraunhofer IVI einen erfahrenen Partner und Softwareentwickler an ihrer Seite.

GAIA-X als Cloudplattform der Wahl – Künstliche Intelligenz als Schlüssel

GAIA-X, die „leistungsfähige, sichere und vertrauenswürdige Dateninfrastruktur für Europa“, soll das neu Zuhause von COLLISION ZERO werden. Hier entstehen, im modularen Plattformdesign und mit Hilfe Künstlicher Intelligenz, jene Welten und Szenarien, die die Schülerinnen und Schüler zukünftig in ihren Bann ziehen. Detailgenaue Straßenzüge im 500 Meter Radius um das ausgewählte Unfallszenario, anpassbare Wetterverhältnisse, realistische Fahranimationen und das in mehreren Perspektiven – technisch keine leicht zu bohrenden Bretter. Schließlich gilt es, behördliche Unfalldaten, Unfallhergangsbeschreibungen, 3D-Geodaten und Wetterdaten in jedem der gewählten Szenarien und das perspektivisch für alle Schulen und Regionen Deutschlands zu implementieren. Datenharmonisierung sowie -anonymisierung/-clustering (NLP, DL), Datenselektion und -analyse, KI-/GIS-basierte Annotation, Animationsverfahren (Straßengeometrie > Bewegungslinie > Weltkoordinaten) und dynamische Profile (Trajektorien) müssen hierfür umgesetzt werden.

Die technische Realisierung des Projektes ist eine verzwickte Aufgabe, wird Wildstyle Network in den kommenden zwei Projektjahren mit Sicherheit fordern. Doch der agenturseitige Projektkoordinator Jens Franke ist zuversichtlich, dass COLLISION ZERO, wie bereits das Projekt FAPS in der Vergangenheit leisten wird, was alle Projektpartner sich vorstellen. Schon weit vor dem Livegang der geplanten Anwendung konnten zahlreiche Interessenten und Unterstützende von der Wichtigkeit des Projektes überzeugt werden. Von Schulen über Ministerien bis zu Städten und Gemeinden sind zahlreiche Partner aufmerksam geworden bzw. haben bereits entsprechende Absichtserklärungen unterschrieben. Schließlich ist klar, dass COLLISION ZERO mehr als nur ein weiteres Verkehrsschulungsangebot für Kinder und Jugendliche ist. Das Projekt wird den Schutz dieser verwundbarsten Zielgruppe umfassend verbessern. So sollen die 3D-Animationen u.a. auch Verkehrs- und Städteplanern helfen, die Gründe für Unfallschwerpunkte zu erkennen und entsprechend zu entschärfen. Auch soll das Angebot perspektivisch anderen Verkehrsteilnehmenden die Augen für die Gefährdungen von Kindern und Jugendlichen im Straßenverkehr öffnen. Denn die Sensibilisierung der Neun- bis Fünfzehnjährigen allein, wird das angestrebte Projektziel – keine Kinder und Jugendlichen im Verkehr zu Schaden kommen zu lassen – nicht erreichen können. Zur Erinnerung: Nur 50 Prozent aller Unfälle dieser Zielgruppe wird auch von ihr verursacht. Es ist demnach ein langer Weg, der vor Nora Strauzenberg und ihrem Projektteam liegt. Aber einer, der wichtig ist und daher von allen Beteiligten mit voller Überzeugung beschritten wird.

Kontakte

Fraunhofer IVI
Zeunerstraße 38
01069 Dresden
Telefon: +49 351 4640800
E-Mail: info@ivi.fraunhofer.de

Wildstyle Network GmbH
Werner-Hartmann-Str. 6
01099 Dresden
Telefon: +49 351 7962500
E-Mail: anja.neufert@wildstyle-network.com

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Weiterführende Links

👉 Projekt COLLISION ZERO
👉 FAPS – Fraunhofer IVI Accident Prevention School
👉 PAPS-XR | Collision Zero
👉 Podcast „Digitale Verkehrserziehung“

Foto: Fraunhofer IVI

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Dieser Beitrag ist exklusiv für die “NEXT Im Fokus: Software” verfasst worden.

👉 Zur Gesamtausgabe des Heftes

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