Smart Systems

Logistik endet nicht an der Grundstücksgrenze

Immer mehr interne Logistikprozesse werden über entsprechende Softwarelösungen gesteuert. Für weitere Optimierungen muss vor allem auch der Einsatz von Softwarelösungen in der Intralogistik dringend ganzheitlich und – wie in der Produktion – vernetzt betrachtet werden. Über Potentiale und Herausforderungen hierbei sprechen wir mit Heike Wilson, Geschäftsführerin der DUALIS GmbH IT Solution.

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Intralogistik betrifft all‘ die logistischen Prozesse, die sich auf einem jeweiligen Firmengelände vollziehen. Welche softwareseitigen Herausforderungen gibt es hierbei aktuell?

Heike Wilson: Ich sehe da zwei große Herausforderungen. Gerade in kleinen und mittleren Unternehmen gibt es immer noch sehr viele Insellösungen, alle maßgenschneidert und passgenau für den jeweiligen Logistikprozess. Das beginnt beim Wareneingang und geht über die Qualitätsprüfung bis hin zur Abarbeitung eines Kommissionierauftrags, der für die Versorgung der Produktion mit Material heute oft noch manuell ausgelöst wird. Überall entstehen dabei Daten, die häufig noch in lokalen Datensilos liegen.

Diese Datensilos abzuschaffen und lokale Lösungen auf einer Plattform zusammenzuführen, ist die erste große Herausforderung.

Denn nur dann wird eine ganzheitliche und übergeorderte Prozesssteuerung, -überwachung und -analyse auch in der Intralogistik überhaupt erst möglich. Und dann sind wir gleich bei der nächsten Herausforderung. In der Logistik wird heute noch sehr viel manuell und auf Zuruf agiert. Ich glaube, dass hier zukünftig auch viel mehr automatisiert und systemgesteuert geplant werden muss, um bestenfalls direkt in Echtzeit auf eine geänderte Materialbedarfsanforderung aus der Produktion oder einfach geänderte Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel aus der Qualitätsprüfung reagieren zu können.

Hier senken automatisierte Planungsansätze auch den Einarbeitungsaufwand, was dem wachsenden Fachkräftemangel begegnet.

Prozesse und Konzepte aus der Produktionsoptimierung, wie zum Beispiel APS (Advanced Planning and Scheduling) – Systeme könnten hier auf die Intralogistikprozesse übertragen werden. Das spart Zeit und Ressourcen und bringt damit letztendlich den nächsten Effizienzgewinn.

Wie erweitern sich diese durch die immer weitreichendere Automatisierung von Produktionsprozessen?

Heike Wilson: Die Produktionskonzepte der Zukunft werden immer flexibler, was meiner Meinung nach auch in der innerbetrieblichen Logistik eine immer höher werdende Flexibilität bedingt. Für die Materialversorgung in diesen Konzepten überlegen Unternehmen gerade ihre herkömmliche Staplerversorgung um fahrerlose Transportsysteme (AGV) zu erweitern. Hier gibt es inzwischen eine Vielzahl von interessanten Anbietern für Automatisierungslösungen, die sowohl Hardware- als auch Softwarelösungen im Bundle umfassen. Damit steigt aber auch die Komplexität in den Logistikabläufen und deren Steuerung. Und es sind natürlich auch erst einmal signifikante Anfangsinvestitionen zu tätigen bevor der Nutzeneffekt eintritt. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Auslegungsfrage derartiger Logistikkonzepte immer mehr an Bedeutung. An dieser Stelle kann die Planungs- und Engineeringphase mittels Materialflusssimulationen unterstützt werden. Die geplanten Konzepte, im Greenfield oder häufiger Brownfield, werden dann vorab in 3D visualisiert und simuliert.

Auf Basis der Analysen ergeben sich oft wichtige Erkenntnisse und weiteres Optimierungspotential bezüglich des geplanten Materialflusses, benötigter Logistikflächen wie Ausprägung der Lagertypen und Zwischenpuffer, der Anzahl der Transortsysteme oder prinzipiell zur Transportwegeoptimierung zwischen Logistik und Produktion.

Erweitert man die Simulationsmodelle dann beispielsweise noch um die Steuerungslogik wird auch eine virtuelle Anlageninbetriebnahme möglich, die wiederum die Zeiten auf der Baustelle enorm verkürzen und operativ für die globale Logistiksteuerung nachgenutzt werden kann. Praktisch sind wir dann auf dem Weg zu einem Digitalen Zwilling der Logistikanlage, der wiederum Grundlage für viele zukünftig sehr sinnvolle Anwendungen sein kann, bei denen dann Algorithmen Anomalien im Prozess im Voraus erkennen können. Also die Herausforderungen wachsen weiter, aber es gibt auch schon sehr gute Applikationen, die wir als Softwareexperten gemeinsam mit den KMU in die Anwendung bringen können.

Welche Vorteile bieten intelligente Algorithmen und maschinelles Lernen und wo werden sie in der Intralogistik heute bereits eingesetzt?

Heike Wilson: Intelligente Algorithmen werden vor allem in Planungs- und Steuerungslösungen schon seit einigen Jahren erfolgreich in der Produktionsoptimierung und Auftragsfeinplanung eingesetzt. Und auch beim maschinellen Lernen sind bereits erste Schritte gemacht. Gerade vor dem Hintergrund von ChatGPT wurde in den letzten Wochen sehr viel diskutiert, inwieweit KI-Technologien auch in der Industrie zum Einsatz kommen können. Ich denke, der Erfolg und Nutzen wird sehr stark davon abhängen, wie gut die Modelle, z.B. auch in der Intralogistik, für den Einsatz von maschinellem Lernen angelernt werden können. Für unsere Produktionsplanungssoftware GANTTPLAN APS sind wir gerade dabei, über ein Förderprojekt den Einsatz von Maschinellem Lernen prototypisch als Add-in zu testen.

Denn wie beim bisherigen Einsatz von mathematischen Algorithmen in der Produktions- und Auftragsplanung entscheidet auch beim maschinellen Lernen die Datenqualität maßgeblich über den Output der Berechnung und das wird sich auch mit KI nicht ändern.

Aber ich bin der Überzeugung, dass beides in einem kontinuierlichen Einsatz auch in der Intralogistik für die unterschiedlichsten Fragestellungen erhebliche Vorteile bietet. Algorithmen können Fehler in der Logistik minimieren, indem sie beispielsweise die Bestände automatisch überwachen und rechtzeitig Nachbestellungen auslösen, um Produktionsstillstände zu vermeiden. Maschinelles Lernen könnte Veränderungen im Logistikprozess schnell erkennen, auf Anomalien reagieren und die Prozesse diesbezüglich automatisch anpassen oder dem Anwendenden Handlungsoptionen anbieten. In vielen Lagerverwaltungsprogrammen oder ERP-Systemen mit Logistik-Modulen kommen heute bereits intelligente Berechnungen auf Basis von mathematischen Algorithmen und/oder Heuristiken zum Einsatz. So können Lagerverwaltungssysteme in automatischen Hochregallägern bereits heute Lagerbestände in Echtzeit überwachen und optimierte Bestellungen an eine ERP-Software senden. Und das ganz ohne manuelle Eingriffe.

Bei der Kommissionierung von Waren kommen bereits intelligente Routenoptimierungen zum Einsatz um Wege und Pick-Zeit beim der Abarbeiten von Aufträgen zu optimieren. Die Mitarbeitenden in diesen Bereichen werden durch diese Applikationen effizient unterstützt und Prozesse in der Auftragsabwicklung dadurch signifikant beschleunigt.

Auch bei der bereits schom aufgeführten Transportautomation mittels fahrerloser Transportsysteme (AGV) kommen heute schon zentrale Steuerungsalgorithmen zum Einsatz, die in Echtzeit wichtige Informationen aus den Produktionsstationen verarbeiten.  So kann die Routenplanung der einzelnen AGV basierend auf diesen Ad-hoc Meldungen automatisiert geändert werden oder auch der Batterieverbrauch der Hardware in Abhängigkeit des prognostizierten Auftragsaufkommens optimiert werden.
Insgesamt bieten intelligente Algorithmen und maschinelles Lernen in der Intralogistik zahlreiche Vorteile und werden in Zukunft eine immer wichtigere Rolle spielen.

KMU haben oft begrenzte finanzielle und personelle Ressourcen. Können sie deshalb weniger gut identifizieren, welche Softwarelösungen dabei helfen, Prozesse kostengünstiger und ressourcenschonender abzubilden?

Heike Wilson: Das ist tatsächlich eine sehr wichtige Frage. Oft werden für Optimierungs- und Digitalisierungsansätze in Produktion und Logistik große Industrieunternehmen als Paradebeispiele angeführt, die vermeintlich mit größeren Investitionen durchdigitalisiert sind. Oft steht die Frage nach der richtigen Software für KMU aber im Vordergrund. Ich gebe unseren Kunden, die überwiegend auch produzierende KMU sind, dann immer den Rat, sich nicht verrückt machen zu lassen und sich eher an Best Practice Beispielen ihrer eigenen Branche zu orientieren. Außerdem gibt es auch genügend professionelle Austauschformate, z.B. im Silicon Saxony e.V., umfassende Weiterbildungsmöglichkeiten, öffentliche Förderprogramme für Digitalisierungsmaßnahmen – regional zum Beispiel von der SAB aufgelegt und diverse Industrie 4.0 – Netzwerke, die jedem offenstehen und aus denen man sich wichtige Informationen und Unterstützung für eine eigene Digitalisierungsstrategie holen kann.

Ich glaube, es ist heutzutage keine Frage mehr, das Digitalisierung vor allem für KMU immer wichtiger wird, aber Software muss auch immer an der richtigen Stelle mit den richtigen Menschen eingesetzt werden. Und fast immer fordert eine Softwarelösung auch einen Abteilungs-übergreifenden Wandel.

Aber das Wichtigste für eine erfolgreiche Softwareauswahl und -einführung ist, die eigenen Prozesse zu analysieren und die wichtigsten „Pain Points“ zu identifizieren. Daraus kann man dann mittels einer Unternehmensspezifischen Reifegradanalyse die Prioritäten für einzelne Digitalisierungsschritte in eine eigene Roadmap überführen, die dann über die Zeit mit verfügbaren Kapazitäten und finanziellen Mitteln untersetzt wird. So ist sichergestellt, dass vor allem KMU an der richtigen Stelle investieren sowie schrittweise und zielgerichtet vorankommen.

Wenn wir einmal in die Glaskugel blicken: Was werden die Herausforderungen an die Software in den kommenden fünf Jahren sein?

Heike Wilson: Die Herausforderungen werden vielfältig sein.

Für mich ergeben sich beim Blick in die Glaskugel heute vier große Handlungsfelder für zukünftige Softwarelösungen: Ausbau von Automatisierung und Robotik, weitere Optimierungspotentiale von Lager- und Transportsystemen, die Verbesserung der Dateneingabe und -analyse sowie das Thema der Cyber Security.

Die weitere Integration von Robotik und Automatisierung ist für eine hohe Produktivität in Deutschland essenziell. Vor dem Hintergrund des sich noch verschärfenden Fachkräftemangel, muss Software zukünftig in der Lage sein, die verschiedensten Systeme autonom zu steuern und zu koordinieren, um einen reibungslosen Ablauf in Produktion und Logistik zu gewährleisten. Es wird immer schwieriger, qualifizierte Mitarbeiter zu finden, die in der Lage sind, komplexe Systeme zu betreuen und zu warten. Die Automatisierung kann hier eine Lösung sein, um die Abhängigkeit von Fachkräften zu reduzieren. Die Software muss jedoch so gestaltet sein, dass sie auch von weniger qualifizierten Mitarbeitern schnell erlernt und bedient werden kann.

Punkt zwei ist die weitere Optimierung von Lager- und Transportprozessen. Hierbei geht es darum, die Prozesse so zu gestalten, dass sie möglichst effizient, Ressourcen-schonend und kosteneffektiv sind. Die Software muss in der Lage sein, Daten aus allen Prozessen zu sammeln, diese zu verknüpfen und schnell zu analysieren, um dann für den einzelnen Operator, möglichst in Echtzeit, Optimierungspotenziale zu identifizieren und mögliche Lösungsszenarien aufzuzeigen, sowohl in der strategischen als auch operativen Anwendung.

Auch die Sprach- und Gestik-gestützter Steuerung von Assistenzsystemen oder der eigentlichen Hardware selbst, wird ein aus meiner Sicht wachsender Bereich für zukünftige Softwarelösungen sein. Durch Sprachunterstützung könnte die Datenerfassung direkter erfolgen, durch die Integration von Interaktion oder Gestik wird zusätzlich die Eingabezeit verkürzt. Und natürlich wird sich das Sammeln und Analysieren von Daten ändern. Wie eingangs erwähnt, werden Daten aus unterschiedlichen Quellen und Applikationen miteinander verknüpft. Das wiederum führt dazu, in komplexen Systemen bessere Entscheidungen treffen zu können. Aber das machen wir natürlich nicht mehr manuell, sondern hierbei werden wir von Methoden des maschinellen Lernens, die tief in die Softwareapplikationen integriert sind, unterstützt.

Und nicht zuletzt spielt auch das ganze Thema der Sicherstellung der Cyber-Security eine sehr wichtige Rolle. Die zunehmende Vernetzung und Automatisierung birgt hier Risiken, die es zu minimieren gilt. Software muss in der Lage sein, die Systeme zu schützen sowie Angriffe zu erkennen und abzuwehren. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir auf diese Art und Weise den großen Herausforderungen der nächsten Jahre erfolgreich begegnen, auch wenn der ein oder andere Punkt meiner Softwarevision so vielleicht erst in 10 Jahren eintritt. Aber ich verspreche mir von diesen zukünftigen Trends, zu denen auch das DUALIS-Team seinen Beitrag leisten wird, ein nachhaltiges und effizientes Arbeiten in den Fabriken der Zukunft!

Danke für das Interview, liebe Heike Wilson.

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Unsere Gesprächspartnerin


Heike Wilson
Geschäftsführerin DUALIS GmbH IT Solution

E-Mail: hwilson@dualis-it.de
Telefon: +49 351 47791-620

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DUALIS GmbH IT Solution

Die 1990 gegründete DUALIS GmbH IT Solution, eine Tochter der iTAC Software AG, ist auf die Entwicklung von Software und Dienstleistungen zur Planung, Simulation und Optimierung von Produktion und Fabriken spezialisiert.

Die Industrie 4.0-konformen Lösungen von DUALIS unterstützen Unternehmen dabei, smarte Fabriken effizient zu betreiben und eine hohe Planungs-, Praxis- und Investitionssicherheit sowie permanente Kostenoptimierung zu erzielen.

Zur Produktpalette zählen das Feinplanungstool GANTTPLAN APS zur Produktionsplanung, die Software AREAPLAN zur effizienten Einplanung von Montageprojekten in der Fabrik und die 3D-Simulationsplattform Visual Components zur Fabrik- und Robotersimulation. Die Produkte sind in zahlreichen Anwendungen in der Großindustrie und in mittelständischen Unternehmen im Produktions-und Dienstleistungssektor integriert.

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