Smart Systems

Die Rolle von KI für die Produktion der Zukunft

Wird künstliche Intelligenz die Produktion beeinflussen und wenn ja, wie? Was bedeutet das für den deutschen Maschinenbau und seine Position im internationalen Wettbewerb – insbesondere mit chinesischen Herstellern? Was ist der Unterschied zwischen „Edge“ und Cloud und wie hängen die beiden Konzepte zusammen? Diese und weitere Fragen beantwortet André Rauschert (Leiter Digitale Prozesse, Fraunhofer-Allianz Big Data AI) in diesem Video.

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Verschriftlichtes Interview (leicht gekürzt und bearbeitet)

André, du forschst seit zehn Jahren zu Big Data und KI, hast aber durch deine Arbeit und deine Kunden auch einen ausgezeichneten Einblick in die Praxis: Was sagst du, wird Künstliche Intelligenz die Fertigung grundlegend verändern und wenn ja, wie und warum?

André Rauschert: Ja, hallo Julia, schön, dass ich hier sein darf. Die Antwort auf deine Frage ist eindeutig ja. Allerdings muss man sagen, dass es zwei verschiedene Ebenen gibt. Die eine ist die Maschine und die andere ist die Fabrik. Mit anderen Worten, wir haben den Maschinenbauer, der seine Produkte auf der Maschine optimieren muss und sie verkaufen will und wir haben die Produktion selbst, die durch KI automatisiert wird. KI ist eigentlich so etwas wie ein Oberbegriff. Der größte Anwendungsbereich liegt heute noch im Bereich der vorausschauenden Wartung. Ursprünglich waren Sensoren nur dazu gedacht, Prozesse zu überwachen, also um einen solchen Prozess zu visualisieren und zwar für den Ingenieur, der diesen Prozess optimieren will. Wir haben Projekte im Haus, bei denen eine Maschine mit 3.000 Sensoren ausgestattet ist. Das sind Terabytes an Protokolldateien und Daten, die pro Maschine und Tag erzeugt werden. Und die Herausforderung besteht darin, diese Daten zur Verfügung zu stellen, um dann einen Entscheidungsprozess zu entwickeln.

Die eigentliche Frage, wenn man den Blickwinkel etwas erweitert, ist, was dabei eigentlich die Herausforderung ist. Und das ist ganz einfach! Die chinesischen Maschinenbauer sind den deutschen eigentlich unterlegen, was Präzision und die Prozessqualität angeht. Aber wenn sie jetzt massiv KI integrieren – und das tun sie tatsächlich – dann besteht das Potenzial einer vorausschauenden Wartung und damit natürlich ein Wettbewerbsvorteil. Denn diese „Unscheduled Down Times“ sind der größte Killer der Produktivität. Produktivität wird ja immer in der OEE, der „Overall equipment effectiveness“ gemessen und die ist am Ende entscheidend.

Das heißt, die Frage, die sich die deutschen Unternehmen stellen müssen ist: Kauft ein Kunde jetzt eine günstigere chinesische Maschine mit KI oder eine deutsche mit hoher Präzision, wenn die chinesische Maschine durch einen Einsatz von KI auf eine ähnlich oder vielleicht sogar bessere OEE kommt. Da gibt es eine schöne Analogie aus dem Automotive-Bereich. Bei Verbrennern sind die deutschen Unternehmen Weltmarktführer. Das ändert sich mit der Batterietechnologie. Denn ohne Motor ist so ein Vehikel natürlich einfacher zu produzieren und im aktuell größten Automarkt der Welt – also in China – fragt sich natürlich der Konsument: Warum soll ich für ein Elektroauto mehr bezahlen als für einen Verbrenner? Denn in dem ist weniger Technik verbaut, aber mehr Software und KI. Und das sind die Stichworte, die für die Verbraucher wichtig sind: Autonomes Stauvorrücken, Entertainmentintegration usw. und das ist heute eben Software und KI. Und diese ist damit letztendlich relevant für den Automotive-Export. Im Maschinen und Anlagenbau und in der Fabrikautomatisierung müssen wir diesen Zeitgeist aufgreifen und der liegt, wie im Automobilbereich, natürlich extrem unter Zeitdruck.

Du hast jetzt schon den Maschinenbau angesprochen. Wie sieht das dann bei der Produktion in der Fabrik aus?

André Rauschert: Im Prinzip gibt es die kleinen KI-Modelle in den einzelnen, sagen wir mal, Maschinen, die dann für die Produktion kombiniert werden. Beispielhaft kann man hier die Inbetriebnahme einer sogenannten Smart Factory nehmen. Heute werden ganze Anlagen aus der Ferne in Betrieb genommen. Das reicht von der Rohstoffversorgung über die rezeptgesteuerte Prozessanlage bis hin zur Abfüllung, inklusive SAP-Integration, die komplett umgesetzt wird. Und da ist es in der Regel so, dass ein Kernteam, also ein hauseigenes Kernteam, vor Ort und mit Augen und Ohren an der Anlage ist, und die Dienstleister werden bei Bedarf per Telefon hinzugezogen. In der Vergangenheit war das anders. Da kamen die Programmierer am Montag früh auf die Baustelle und mussten feststellen, dass die Maschinen noch nicht angeschlossen waren, dass es alle möglichen Probleme gab und dann saßen sie herum und hatten nichts zu tun. Jetzt können sie remote dazukommen und im Falle von Verzögerungen flexibel andere Teilprojekte vorantreiben.

Ich würde gerne noch einmal ein bisschen tiefer in den Technologiebereich reingehen. Man hört ja im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz jetzt immer mehr das Stichwort Edge AI, also quasi eine KI, die direkt am Sensor zum Beispiel integriert ist. Und das Gegenkonzept, wenn ich das jetzt mal so salopp formulieren darf, ist quasi das Cloud Thema. Wie ordnen sich diese beiden Konzepte im Bereich der smarten Systeme ein oder unter? Gibt es da konkrete Anwendungen, für die das eine oder das andere Konzept eher oder besser bzw. einfach relevanter ist?

André Rauschert: Ja, das ist sehr spannend, denn der Unterschied zwischen Edge AI und Cloud Computing, oder auch Cloud AI, ist, dass das eine auf dem anderen aufbaut. Bei Edge spreche ich vom Maschinellen Lernen am Endpunkt des Internets. Das ist dann die Maschine in der Produktionshalle, aber eben erst dann, wenn ich wirklich weiß, welche Datenströme ich benötige, wie Daten überhaupt aufbereitet sein müssen oder wie ich sie Stück für Stück analysiere. Das heißt, ich benötige erst viele Daten zum Anlernen und wenn die Modelle angelernt sind, kann ich sie auf die Maschine bringen. Der erste Schritt ist also, viele Daten zu sammeln und das ergibt in der Cloud am meisten Sinn. Vor allem, wenn die Daten aus verschiedenen Fabriken oder von verschiedenen Herstellern kommen. Und dann folgt das Überbringen der Modelle und Algorithmen auf die Edge. Das heißt, Edge folgt auf Cloud.

Große Cloudanbieter werben ja damit, Daten generell in der Cloud auszuwerten. Kannst du da vielleicht mal kurz die Vor- und Nachteile zusammenfassen?

André Rauschert: Ja, ich denke, das muss jeder Hersteller selbst entscheiden. Aber Fakt ist natürlich, dass die Daten in der Cloud heutzutage vor dem Zugriff eines Wettbewerbers sicher sind. Aber wenn man bedenkt, dass die meisten Cloud-Anbieter, die wirklich technologisch führend sind, aus dem US-Wirtschaftsraum kommen und dass es dort den so genannten Patriot Act gibt. Dieser besagt, dass die Regierung von Cloud-Betreibern verlangen kann, dass sie der US-Regierung jederzeit alle Daten zur Verfügung stellen. Das ist etwas, was auf der politischen Schiene eine Rolle spielt, nämlich dann, wenn ein Unternehmen auch sehr stark daran interessiert ist, sein absolutes Prozess-Know-how, das vor allem hier in Deutschland vorhanden ist, zu schützen. Das muss man sich also sehr genau überlegen. Ein anderer Aspekt ist, dass es auch um die Nutzung dieser Cloud-Dienste geht. Wir haben in der Vergangenheit tatsächlich gemerkt , dass Kunden einfach ausprobiert haben, ob man in der Cloud schneller und dynamischer ist. Aber wenn man bei der Nutzung dieser Dienste Fehler macht, viele Modelle berechnen lässt und am Ende pro Knoten abrechnet wird, kann sich das schnell zu einer fünf- oder sechsstelligen Summe summieren. Das ist in der Vergangenheit tatsächlich schon vorgekommen, wenn ein Modell an einem Freitag gestartet wurde und die Ergebnisse am Montag überprüft wurden.

Du hast jetzt gerade schon das Stichwort Know-how genannt. Was sind noch Herausforderungen, denen sich Unternehmen bei der Implementierung von KI in ihren Produktionsprozess stellen müssen und wie können Sie diesen am besten begegnen?

André Rauschert: Die Frage aller Fragen ist hier: Wie mache ich meine Maschinen mit Sensoren intelligent? KI kann man immer nur im Zusammenhang mit Big Data denken. Es fallen also stets große Datenmengen an, diese Datenmengen müssen strukturiert werden und das ist eine Grundvoraussetzung, die man erfüllen muss. Auch der Zugriff auf die Daten ist wichtig, wenn ich zum Beispiel Maschinen von Drittherstellern kaufe, vor allem in der Smart Factory, und ich dann diese Daten nutzen will, um meinen Produktionsfluss und den Produktionsprozess maschinenübergreifend zu organisieren. Das heißt, wir haben das Thema Big Data, wir haben die Daten von Fremdmaschinen und nicht zuletzt die Maschinen selbst. Diese müssen analysiert werden und es muss entschieden werden, ob geeignete Sensorik überhaupt vorhanden ist oder vielleicht noch nachgerüstet werden muss. Letztlich muss KI eingesetzt werden, um Muster zu erkennen, die mir im Produktionsprozess helfen, und da gibt es sicherlich Branchen, die etwas hinterherhinken, und dann gibt es Branchen, die sehr weit und die fast komplett smart sind.

Wie lange dauert es denn so im Allgemeinen, bis das System wirklich eine geeignete KI beziehungsweise einen geeigneten Algorithmus hat und welche Voraussetzungen sind dafür notwendig?

André Rauschert: Ja, das ist nicht so einfach zu beantworten. Es ist immer ein mehrstufiger Prozess. Der erste Schritt ist immer, dass die Systeme mit der Sensorik fit gemacht werden. Ich muss die richtigen Sensoren an den richtigen Stellen haben, die mir kontinuierlich strukturierte Logfiles, also Daten, liefern.

Der zweite Punkt ist, diese Daten zu sammeln. Ich kann nicht die Sensorik anbringen und sie dann sofort auswerten. Ich brauche eine gewisse Zeit, in der ich Fehlerdaten generiere. Zu diesem zweiten Punkt kann ich also zusammenfassend sagen, dass schlechte Daten gute Daten sind. Denn, wenn ich viele Fehler in einer Reihe habe, dann kann die KI auch Muster erkennen. Der Prozess geht also vom Geschäftsverständnis – was will ich erreichen – zum Datenverständnis – was ist in den Daten – zur Datenaufbereitung – wie bereite ich die Daten auf.

Und ein drittes großes Thema ist es, die Algorithmen des Maschinellen Lernens auf die Daten zu bringen. Das dauert normalerweise nicht so lange. Komplexe Algorithmen, also wenn es viele Datenströme gibt, die zusammengeführt werden müssen, haben natürlich einen höheren Grad an Komplexität. Ich kann hier mal ein Beispiel geben, mit dem einige Menschen aus dem Halbleitersektor sehr vertraut sind: Eine der komplexesten Maschinen ist die Lithographie-Belichtungsmaschine von ASML, in der es 45 mal heißer als die Sonne wird. Das ist wirklich verrückt, denn die notwendigen Lichtwellen von 13,5 Nanometern müssen ja ersteinmal erzeugt werden. Das ist also ein Beispiel für eine sehr komplexere Maschine. Und der vierte große Punkt ist, dass ich eine „Data Management Pipeline“ und einen „Continuous Improvement Prozess“  habe. Das bedeutet, dass ich meine Daten im Griff haben muss. Ich muss wissen, wie sie reinkommen, wie man sie aufbereitet, und kontinuierliche Verbesserung bedeutet nichts anderes, als dass ich neue Modelle entwickle und sie in meinen Produktionsprozess einführe. Denn ich kann die Maschinen nicht immer wieder anhalten, warten und dann probieren. Verbesserungen müssen in den Produktionsprozess integriert werden. Und wenn man das alles zusammennimmt, kann es sein, dass man – wenn man sehr gut zusammenarbeitet – in 12 Monaten eine erste Struktur geschaffen hat. Aber je nach Komplexitätsgrad ist das natürlich nach oben offen.

Oftmals haben kleine Unternehmen ja gar nicht die Möglichkeit hierfür. Aber wenn jetzt gerade kleine Hersteller mit begrenzten Ressourcen trotzdem KI implementieren wollen, welche Möglichkeiten haben sie dann?

André Rauschert: Zunächst einmal fehlen kleinen Unternehmen meist die große Menge an Lerndaten, die sie brauchen, um die Fehleranalyse durchführen zu können. Und da stellt sich die Frage, woher sie die Daten bekommen. Dazu gibt es jetzt eine europäische Initiative, die auch von Deutschland vorangetrieben wird und die sich „Manufacturing-X“ nennt. Das Projekt wurde auf der Hannover Messe gestartet und soll die zentrale Datenaustauschstelle für Maschinen- und Anlagenbauer werden. Das ist im Prinzip ein Gaia-X Regelframework. Gaia-X ist das europäische Pendant zu den amerikanischen und chinesischen Hyperscalern. Zunächst betrachten wir den Supply Chain Act, genauer gesagt das „Gesetz über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen in Lieferketten“. Manufacturing-X ist nach dem Vorbild des bereits erfolgreichen Clusters für die Automobilindustrie, Catena-X, aufgebaut. In einem nächsten Schritt wäre es denkbar, damit einen Großteil der für das Lernen benötigten Daten auszutauschen. Alternativ gibt es hier in Sachsen oder auch über die Grenzen Sachsens hinaus eine ganze Reihe von spezialisierten Unternehmen sowie eine exzellente Hochschul- und Forschungslandschaft, die man nutzen kann, zum Beispiel in Forschungs- oder Kooperationsprojekten. Das heißt, man kann auch im Netzwerk lernen!

Zum Schluss würde ich dich gern noch fragen, welches Potenzial KI im Sinne einer nachhaltigen und CO2-neutralen Produktion hat, Stichwort ESG. Kann künstliche Intelligenz tatsächlich helfen, Energie und Ressourcen zu sparen und wenn ja, wie und warum?

André Rauschert: Man kann hier vielleicht zwei Beispiele herausgreifen. Das eine ist sozusagen ein bisschen das Denken in großen Dimensionen. Die großen Cloud-Rechenzentren haben bewiesen, dass sie durch KI tatsächlich Energieeinsparungen von bis zu 30 Prozent erzielt haben, indem sie die Auslastung der Rechenzeit und die Knoten und deren Interaktion miteinander optimiert haben. Und das steht in direktem Zusammenhang mit dem CO2-Fußabdruck. Im zweiten Beispiel sind wir wieder bei der vorausschauenden Wartung, die wir bereits erwähnt haben. Schließlich produziere ich viel weniger Abfallprodukte, wenn ich deutlich weniger Ausfallzeiten oder nur geplante Ausfallzeiten habe. Dann brauche ich natürlich auch weniger Personal und habe weniger Materialkosten. Das alles macht Effizienz und Effektivität aus. Je mehr ich also weiß, desto nachhaltiger kann ich wirtschaften, und dieses Wissen kann ich natürlich insbesondere mit maschinellem Lernen oder dem Oberbegriff KI erreichen.

Also auf jeden Fall deinerseits ein „Pro KI“ in der Produktion. Vielen Dank, André, für die spannenden Einblicke.

André Rauschert: Sehr gern! Bis bald.

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Unser Interviewpartner

André Rauschert
Head of Digital Processes, Fraunhofer Alliance Big Data AI

Telefon: +49 (0351) 4640-681
E-Mail: andre.rauschert@ivi.fraunhofer.de

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