Quantencomputer gelten derzeit als die aussichtsreichsten Kandidaten für die effiziente Lösung von Problemen, die für klassische Computer völlig unerreichbar sind. Sie erfordern jedoch einen enormen Aufwand an Steuerung und Schnittstellen, um zu funktionieren. Bei Quantencomputern basierend auf Qubits, die in einem Kryostaten nahe dem absoluten Nullpunkt betrieben werden, ist die Anzahl der möglichen Signalleitungen, die von den Steuergeräten in die Kryostaten geführt werden können, jedoch limitiert. Dies bedingt sich durch den begrenzten Raum, die durch die Drähte transportierte Wärme und die durch die nötige Signalintegrität begrenzte Länge der vorhandenen Drähte.
„Die Leistungsanforderungen an elektronische Geräte und Schaltungen bei kryogenen Temperaturen sind ganz anders als bei Raumtemperatur. Insbesondere bei sehr empfindlichen Anwendungen wie Quantenprozessoren müssen alle Aspekte der mikroelektronischen Technologien optimiert werden“, sagt Alexander Grill, wissenschaftlicher Leiter von „ARCTIC“ (“Advanced Cryogenic Technologies for Innovative Computing“) am belgischen Forschungszentrum imec. Die erwarteten Projektergebnisse werden als wichtige Weichenstellung für stark nachgefragte Technologien angesehen, die bestehende Probleme in Bereichen wie der computergestützten Chemie, den Biowissenschaften sowie der für den Datenschutz und die Cybersicherheit erforderliche Kryptographie lösen können.
Um die bisherigen Hindernisse zu überwinden, bringt „ARCTIC“ 36 Partner zusammen, um eine vollständige und umfassende europäische Lieferkette für kryogene Photonik, Mikroelektronik und Kryo-Mikrosysteme rund um die aufstrebende Quantencomputing-Industrie und verschiedene kryogestützte IKT-Anwendungen aufzubauen.
Die Fraunhofer-Gesellschaft ist mit seinen Instituten für Photonische Mikrosysteme IPMS und für Angewandte Festkörperphysik IAF an ARCTIC beteiligt. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit im Projekt liegt auf der Charakterisierung von Bauelementen in kryogenen Umgebungen und auf Wafern in Industriegröße für kryogene Quantencomputer-Prozessoren, sowie auf der Analyse des elektrischen Verhaltens von Transistoren und Speicherbauelementen bei untypisch tiefen Temperaturen.
Fraunhofer IPMS bringt seine Kompetenzen in der Charakterisierung von kommerziellen Halbleiterbauelementen ein
Das Center Nanoelectronic Technologies (CNT) am Fraunhofer IPMS beschäftigt sich mit der Charakterisierung und Modellierung von bipolaren und CMOS-Transistoren sowie Speicherelementen bei kryogenen Temperaturen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Hochfrequenz-, Rausch- und Defektcharakterisierung und Modellierung kommerzieller Transistoren innerhalb der 22FDX FDSOI-Technologie sowie der Entwicklung optimierter nichtflüchtiger ferroelektrischer Speicher. Hierfür ist es entscheidend, die Charakterisierungsmethoden in kryogener Umgebung und auf ganzen Wafern zu verbessern und ein tiefes Verständnis dafür zu entwickeln, wie sich Feldeffekttransistoren und Speicherbauelemente bei untypisch niedrigen Temperaturen verhalten. „Wir wollen neue Erkenntnisse über die energetische Position und die Anzahl der elektrischen Defekte in den Transistoren gewinnen. Dies wird es der Industrie ermöglichen, neue Kryo-Produkte anzubieten und Fraunhofer kann dazu einzigartige Charakterisierungsmethoden anbieten. Die Reduzierung des defektinduzierten Rauschens in der Elektronik ist ein wichtiger Faktor für die Erhöhung der Kohärenzzeit von Qubit-Zuständen, weshalb die entwickelten Methoden unmittelbar für kryogene Quantencomputing-Ansätze relevant sind. Bei den nichtflüchtigen Speichern ist es außerdem wichtig, die Leistungsaufnahme der Speicherelemente zu minimieren, da die Kühlleistung in Kryostaten sehr begrenzt ist“, erklärt Dr. Maik Simon, Forscher in der Gruppe Quantum Technologies am CNT in Dresden.
Ein weiterer Kompetenzschwerpunkt des Fraunhofer IPMS ist die Untersuchung der Anwendbarkeit nichtflüchtiger ferroelektrischer Speicher für eine kryogene Umgebung durch elektrische Charakterisierung und physikalische Modellierung. Diese bahnbrechende Studie wird zeigen, wie die Bauelemente bei niedrigen Temperaturen funktionieren und welche Parameter verändert werden können, um die Schalteigenschaften, die Integrationsdichte und die Zuverlässigkeit zu verbessern.
Das Projekt am Fraunhofer IPMS wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (SMWA) kofinanziert.
Fraunhofer IAF charakterisiert periphere Bauelemente für kryogene Quantenprozessoren
Die Charakterisierung von elektronischen Komponenten ist ebenso wichtig wie zeitaufwändig, insbesondere wenn es um kryogene Messungen und Charakterisierungen mit langen Abkühl- und Aufwärmzeiten geht. Das Fraunhofer IAF spielt eine wesentliche Rolle in „ARCTIC“, indem es die Charakterisierung von Peripherie-Bauelementen für kryogene Quantenprozessoren auf Wafern in Industriegrößen mit einem automatisierten kryogenen Full-Wafer-Prober ermöglicht. Neben dem umfangreichen Wissen über Charakterisierungsmethoden für Halbleiterbauelemente für F&E-Zwecke bis hin zu industriellen Tests von 200 mm und 300 mm Wafern ist das Fraunhofer IAF einer der wenigen europäischen Anbieter eines solchen Tieftemperatur-Testaufbaus bei unter 2 Kelvin. Dieses fundierte Wissen über die Charakterisierung von kryogenen Komponenten und die statistische Variabilität von Schlüsseltechnologien wird ein wesentlicher Bestandteil von „ARCTIC“ sein und dazu beitragen, die industrielle Erprobung von kryogenen Technologien zu beschleunigen, die für die Skalierung von Quantencomputern notwendig sind.
Das Projekt am Fraunhofer IAF wird im Rahmen des Programms Horizon Europe von der EU gefördert und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) kofinanziert.
Über das Fraunhofer IPMS
Das Fraunhofer-Institut für Photonische Mikrosysteme IPMS steht für angewandte Forschung und Entwicklung in den Bereichen intelligente Industrielösungen, Medizintechnik und Mobilität. Forschungsschwerpunkte sind miniaturisierte Sensoren und Aktoren, integrierte Schaltungen, drahtlose und drahtgebundene Datenkommunikation sowie kundenspezifische MEMS-Systeme. In den beiden Reinräumen findet Forschung und Entwicklung auf 200 sowie 300 mm Wafern statt. Das Angebot reicht von der Beratung über die Prozessentwicklung bis hin zur Pilotserienfertigung.
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Weiterführende Links
👉 www.ipms.fraunhofer.de
Foto: Fraunhofer IPMS