Welche Regulierungen, Gesetz und Auflagen tangieren die Software-Branche besonders?
Patrick Häuser: Der Mittelstand im Allgemeinen und zusätzlich die mittelständische Digitalwirtschaft im Besonderen sehen sich aktuell mit einer Vielzahl von neuen Regelungen konfrontiert, die zunehmend zu einem Innovationshemmnis werden. Dazu zählen der AI Act, der absehbar hohe Compliance-Kosten verursachen wird, und der Cyber Resilience Act (CRA), der Dokumentationspflichten für praktisch jedes „Produkt mit digitalen Elementen“ vorschreibt und damit nahezu jedes Digitalunternehmen mit neuen Regeln konfrontiert.
Zudem prüfen wir aktuell, inwieweit das europäische Lieferkettengesetz (CSDDD) unsere Mitgliedsunternehmen belasten wird. Wir hoffen sehr, dass die neue europäische Legislaturperiode ab Sommer weniger Vorgaben für die Digitalwirtschaft mit sich bringt. Viele kleine und mittelständische Unternehmen sind inzwischen an der Grenze der Belastbarkeit durch immer neue Vorgaben angelangt.
Welche neuen Regulierungen befinden sich bereits „in der Pipeline“?
Patrick Häuser: Aktuell schauen wir diesbezüglich auch auf die Gesetzgebung im Bund. Das Scheitern des Onlinezugangs-Änderungsgesetzes (OZG2.0) im Bundesrat ist ein ernüchternder Rückschlag für Bürger, aber natürlich auch für Unternehmen. Dabei ist der IT-Mittelstand gleich doppelt von der ausbleibenden Verwaltungsdigitalisierung betroffen. Analoge Interaktionen mit dem Staat bedeuten mehr Bürokratie. Gleichzeitig besteht in der längst überfälligen Digitalisierung der Verwaltung großes Geschäftspotential, denn viele unserer Mitglieder können digitale Lösungen für Behörden bereitstellen. Dafür braucht es jetzt endlich die richtigen Weichenstellungen.
Wir erwarten außerdem mit Spannung den Entwurf für eine Reform des Vergaberechts, auf die sich die Ampel-Parteien im Koalitionsvertrag verständigt haben. Der Staat ist der größte IT-Einkäufer Deutschlands. Damit ist die öffentliche Vergabe ein wichtiger Hebel für unsere digitale Souveränität. Deshalb setzen wir uns gegenüber der Bundesregierung für eine „Souveränitäts-Klausel“ im Beschaffungswesen ein, die bei gleichem Leistungsumfang derjenigen Lösung Vorzug gibt, die digitale Souveränität ermöglicht und die Einhaltung europäischer Regularien, wie z.B. den Datenschutz, garantiert. Für unsere digitale Souveränität ist das fatal
Wie beeinflusst all dies die Geschäftsmodelle, Kosten, Unternehmensstrukturen und Wettbewerbsfähigkeit deutscher Software-Unternehmen?
Patrick Häuser: Regulierungen, die hohe Compliance-Kosten und bürokratischen Aufwand mit sich bringen, stellen ernstzunehmende Hürden für IT-KMU und damit für die gesamte deutsche und europäische Digitalwirtschaft dar. Denn diese besteht zu einem Großteil aus genau diesen Unternehmen. Große Tech-Konzerne aus den USA und China haben genug Ressourcen, um Regulierung zu begegnen. Hinter ihnen droht die eher mittelständisch geprägte IT-Wirtschaft in Europa weiter zurückzufallen. Für unsere digitale Souveränität ist das fatal. Denn um unsere Abhängigkeiten von internationalen Tech-Riesen zu reduzieren und die Digitalisierung aktiv mitgestalten zu können, brauchen wir innovative Alternativangebote ‚made in Germany‘ beziehungsweise ‚made in Europe‘.
Was wünscht Sie sich in puncto Regulierung von Brüssel und Berlin?
Patrick Häuser: Wir sind in der guten Position, dass wir in Europa eine standorttreue und innovationsstarke Technologiebranche haben, die digitale Lösungen nach europäischen Werten und Vorstellungen entwickeln kann. Um diesen Schatz zu heben, brauchen wir unter politischen Entscheidungsträgern insgesamt mehr Selbstbewusstsein und Vertrauen in unsere eigene Digitalwirtschaft und ein klares Bekenntnis dazu, dass wir Digitalisierung nicht nur einkaufen, sondern selbst bereitstellen können und wollen. Vielen ist nicht klar, dass wir im wichtigen B2B-Bereich noch die Chance haben, große Marktanteile mithilfe unserer eigenen IT-Unternehmen zu erschließen und einseitige Abhängigkeiten von Big Tech zu vermeiden. Das belegen Hoffnungsträger wie das KI-Unternehmen Aleph Alpha und andere.
Dafür reicht es jedoch nicht, dass wir mit immer neuen Regeln versuchen, die großen Player am Markt einzuhegen. Am Ende treffen wir damit nämlich meist unsere eigenen Innovationstreiber. Stattdessen sollte die Politik in Berlin und Brüssel also lieber Rahmenbedingungen hierzulande schaffen, die unsere europäische Technologiebranche beflügelt, damit wir wettbewerbsfähig bleiben. Damit wäre bereits sehr viel gewonnen.
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Unser Interviewpartner
Patrick Häuser
Hauptstadtbüro-Leiter, Bundesverband IT-Mittelstand
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Das Interview führte Autor Heiko Weckbrodt exklusiv für die NEXT „Im Fokus: Software”.
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