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Verkehrsunfallforschung an der TU Dresden (VUFO) GmbH: Unfälle verstehen, um Unfälle und deren Folgen zu vermeiden

2,5 Millionen Verkehrsunfälle ereigneten sich im Jahr 2023 auf deutschen Straßen. Rund 365.000 Unfallbeteiligte kamen hierbei zu Schaden. 2.830 Menschen starben. Allein während der Corona-Pandemie im Jahr 2021 kamen in Deutschland weniger Menschen (2.562) im Verkehr ums Leben. Ein Blick in die 70er Jahre verdeutlicht jedoch den positiven Trend – so tragisch jeder Unfall, jeder Verletzte und Tote weiterhin ist. 1971 kamen noch 21.330 Menschen im deutschen Straßenverkehr (Ost- und Westdeutschland) ums Leben. Seither hat sich viel getan. Das Tempolimit auf Landstraßen (1972, 100 km/h), die Richtgeschwindigkeit auf deutschen Autobahnen (1974, 130 km/h), die Helmpflicht (1980), die Gurtpflicht (1984), die Promillegrenze (1998, 0,5 Promille) sowie unzählige Innovationen in der Automotive-Branche zeigten ihre Wirkung. Von mehr als 21.000 Verkehrstoten sank die Zahl bis zum Jahr 1998 auf 7.790. Ohne Zweifel ein großartiger Erfolg, doch bei Weitem nicht genug. Um speziell schweren Unfällen mit Personenschaden auf die Spur zu kommen, sollte nun auch die Forschung ihren Beitrag leisten. Nach einem ersten Unfallforschungsprojekt im Jahr 1973 in Hannover, gelang es der Technischen Universität Dresden in Kooperation mit der Uniklinik Dresden das Drittmittelprojekt GIDAS (German In-Depth Accident Study) – ein Gemeinschaftsvorhaben der Forschungsvereinigung Automobiltechnik (FAT) und der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) – einzuwerben. Die Geburtsstunde der Unfallforschung Dresden sowie der heutigen Verkehrsunfallforschung an der TU Dresden (VUFO) GmbH hatte geschlagen.

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Unfallaufnahme in Dresden. Foto: VUFO GmbH

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Dresden und Umland als optimaler deutscher Landschafts- und Verkehrsdurchschnitt

Nicht nur der exzellente Ruf der Dresdner Universität und des hiesigen Klinikums überzeugten im damaligen Ausschreibungsprozess. Auch das ausgewählte Erhebungsgebiet – die Stadt Dresden und deren „Speckgürtel“ im Umkreis von etwa 35 Kilometern – schien für die deutsche Verkehrsunfallforschung geradezu wie gemacht. „Die Stadt und das Umland repräsentieren den deutschen Durchschnitt sehr gut. Alle relevanten topographischen Gegebenheiten, Straßenarten und Verkehrsverhältnisse sind hier vorhanden“, erklärt Henrik Liers, Geschäftsführer der VUFO GmbH. Dass der Verkehr seit den 70er Jahren um den Faktor zehn gestiegen ist, die Verkehrstoten im gleichen Zeitraum jedoch nahezu um den gleichen Faktor sanken, wurde seither auch zum Verdienst der Dresdner Unfallforschung und deren gewonnener Erkenntnisse. Jährlich rücken die Mitarbeitenden und Fahrzeuge der VUFO GmbH zu 1.000 Einsätzen, stets Unfälle mit Personenschaden, aus. Durchschnittlich 3.500 einzelne Informationen werden während eines Einsatzes an einem Unfallort erfasst, verteilt auf etwa 1.700 technische Parameter, 500 medizinische und circa 300 psychologische. Seit Projektstart im Jahr 1999 wurden an den Standorten in Dresden und Hannover mehr als 45.000 Unfälle dokumentiert. Ein Datenschatz entstand, der bereits zu deutlich sicheren Fahrzeugen und Verkehrsinfrastrukturen beitrug. Doch erst die zunehmende Digitalisierung eröffnete jene Möglichkeiten, die bis heute Leben retten. Erfolgte in der Anfangszeit des Projektes die Aufnahme der Unfalldaten noch weitestgehend analog – wurden Akten angelegt, Informationen auf Lochkarten gespeichert, Abzüge von Fotos beigefügt – ist inzwischen alles digital und mit wenigen Klicks in beeindruckender Detailtiefe und mittels übersichtlicher Dashboards abrufbar.


Fahrzeugtechniker der Verkehrsunfallforschung inspiziert ein verunfalltes Fahrzeug. Foto: VUFO GmbH

Medizinische und technische Teams erfassen Unfalldaten, auch in München und Hannover

Bei jedem Einsatz der Dresdner Unfallforschung rückt ein Team aus Fahrzeugtechniker:innen und Mediziner:innen aus. Am Unfallort angekommen, teilt das Team sich auf. Während die technische Crew die beteiligten Fahrzeuge, deren Schäden sowie Daten bspw. zu Wetter, Fahrbahnbeschaffenheit, Bremsspuren aufnimmt, hierfür inzwischen auch Drohnentechnologie, Laserscanner und 3D-Photogrammetrie einsetzt, kümmert sich das medizinische Teammitglied um die am Unfall beteiligten Personen sowie deren Verletzungen, Unfalleindrücke und psychologische Aspekte. Zahlreiche der aufzunehmenden Daten werden vor Ort direkt via Tablet-PC in die GIDAS-Datenbank eingetragen. Andere werden später aus Fotos, Videos oder Sprachaufzeichnungen in den Büroräumen der VUFO extrahiert und dokumentiert. Seit 2023 wird auch an einem dritten Standort in München Unfallforschung im Rahmen des GIDAS-Projektes betrieben. Das Dresdner Know-how ermöglicht auch hier die Aufnahme von jeweils 500 Unfällen pro Jahr. Doch das Team in Dresden möchte weiter Taktgeber für das GIDAS-Projekt sein– auch dank smarter Technologien aus Sachsen.


Ein Fahrradunfall an der Elbe in Dresden. Die VUFO GmbH ist mit einem medizinischen und einem technischen Team vor Ort. Foto: VUFO GmbH

So entstand bereits vor mehr als 15 Jahren das für die Unfallaufnahme eingesetzte Datenerfassungssystem UNIDATO® in enger Zusammenarbeit mit der Dresdner Trans4mation IT GmbH. Im Jahr 2021 wurde zudem mit dem Fraunhofer IVI die TASC-Datenbank (Traffic Accident and Scenario Community) gelauncht – eine Plattform, die, anders als die GIDAS-Datenbank, Verkehrsbeobachtungs- und Unfalldaten vereint, auch von Unfällen ohne Personenschaden.

Technologie „made in Saxony“ erleichtert die Dateneingabe und -präsentation

Das Datenerfassungssystem UNIDATO®, eine Entwicklung der Trans4mation IT GmbH, erleichtert die Eingabe der circa 3.500 Einzeldaten eines Unfalls und speist diese in die GIDAS-Datenbank ein. Um Falscheingaben zu verhindern, werden die Daten auf Plausibilität geprüft (Regnet es z.B., kann die Fahrbahn nicht trocken sein.). Um Zeit zu sparen, werden die eingegebenen Daten – so weit möglich und nötig – in allen relevanten Eingabefeldern automatisch übernommen oder Musterdatensätze zur Verfügung gestellt. Das UNIDATO®-System ist inzwischen so erfolgreich, dass es nicht nur bei der VUFO im Einsatz ist, sondern auch bei Automobilherstellern wie VW, Skoda, Audi oder Mercedes. Denn auch bei vielen Fahrzeugherstellern erfolgen Unfallrekonstruktionen und Schadensaufnahmen, wenn auch in kleinerem Rahmen und stark auf die Bedürfnisse der Automobilhersteller fokussiert.


Unfallrekonstruktion mit einem beweglichen Target auf Grundlage von VUFO-Unfalldaten. Video: DEKRA

Die GIDAS-Datenbank ist die weltweit größte und detaillierteste Plattform für Unfälle mit Personenschaden. Die mehr als 45.000 dokumentierten Unfälle liefern inzwischen Informationen zu allen Unfallarten und -beteiligten, Verkehrssituationen, Verletzungen, Schäden und deren Gründen. Die aus dieser Erhebung gewonnenen Erkenntnisse und Resultate fließen über die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) in die Weiterentwicklung von Verkehrssicherheitsmaßnahmen und europäische Gesetzgebungsinitiativen ein. Gleichzeitig dienen sie als Grundlage für neue Fahrzeugsicherheits- und Assistenz-Systeme, die von den Mitgliedsunternehmen der Forschungsvereinigung Automobiltechnik e.V. (FAT) entwickelt und in den Markt gebracht werden.

Die TASC-Plattform stellt ergänzend weitere wichtige Informationen zur Verfügung, die für Entwicklung, Absicherung und Test assistierter und automatisierter Fahrfunktionen notwendig sind. Die hier hinterlegten Daten stammen aus Unfalldatensätzen der Polizei, Daten aus Verkehrsbeobachtungen sowie Daten von Wetterdiensten. TASC ist damit ein Informationspool, der nicht nur sämtliche Unfallszenarien (auch ohne Personenschaden) enthält, sondern von unbedenklichen über kritische Szenarien bis hin zu tatsächlichen Unfällen alle Verkehrssituationen und -variationen beinhaltet. Erstmals gelang es dem wissenschaftlichen Partner, dem Fraunhofer Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme (IVI), die Kritikalität in Fahrszenarien zu bewerten. Also die Validierung, wie kritisch ein Fahrszenario an einen Unfall heranreicht bzw. wie weit der Point-of-no-Return – der Punkt, an dem ein Unfall unvermeidlich ist – noch entfernt ist. All diese Informationen können durch die Behandlung mit speziell entwickelten Verfahren und unter Anwendung wissenschaftlicher Methoden in Simulationsdateien umgewandelt werden. Zudem wurde ebenfalls vom Fraunhofer IVI eine Methodik entwickelt, mit der aus einem realen Unfalldatensatz bis zu 900 Variationen, wie der Unfall sich physikalisch zugetragen haben könnte, des Unfalls erzeugt werden können. Diese Daten können beispielsweise für statistische Analysen sowie für Fahrzeug- und Szenariensimulationen verwendet werden.

GIDAS und TASC liefern unterschiedlichen Kundengruppen wertvolle Informationen

„Wir sind gerade dabei, eine der weltweit umfangreichsten Ökosysteme mit kombinieren Unfall- und Fahrszenarien zu schaffen. Die mehrjährige Entwicklungszeit hat sich gelohnt, denn wir hatten von Beginn an den Blick für die multivalenten Herausforderungen des Autonomen Fahrens und deren Folgeerscheinungen“, so André Rauschert, Leiter Digitale Prozesse bei Fraunhofer und technologischer Sparingspartner bei der Entwicklung von TASC. Interessant sind die Daten aus TASC sowie GIDAS u.a. für Fahrzeughersteller und -zulieferer, Verbände, Regulierungsbehörden, aber auch für Städte, Gemeinden und Kommunen. „Ein Crashtest kostet schnell um die 100.000 Euro. Mit unseren OpenX-Datensätzen lässt sich inzwischen nahezu jedes Unfallszenario problemlos und zerstörungsfrei digital simulieren. Rund 80 Prozent unserer Kundenprojekte wickeln wir mit Automobilherstellern und -zulieferern ab. Es geht hier zumeist um die Entwicklung und Optimierung von Fahrerassistenz-, Sicherheits- oder Notfallsystemen. Wir unterstützen aber auch Städte und Kommunen bei der Neugestaltung von Verkehrsinfrastrukturen, indem wir Gefahrenschwerpunkte nicht nur aufzeigen, sondern auch deren Problematik deutlich machen“, erklärt Henrik Liers. „Je nach Kunde und Kundenwunsch werden von uns die Daten nicht nur zur Verfügung gestellt, sondern auch analysiert oder in speziellen Formaten veredelt. Wir bieten Weiterbildungen in den Bereichen Fahrzeug- und Verkehrssicherheit an. Wir beraten Automotive-Unternehmen oder mit dem Auf- oder Ausbau von Verkehrsinfrastrukturen beauftragte Partner. Die von uns erfassten Daten sind damit die Grundlage unseres Geschäftsmodells und ein Weg, den Straßenverkehr von Jahr zu Jahr sicherer zu machen.“


OpenX-Datensatz eines Unfalls. Video: VUFO GmbH

Die VUFO baut ihre Geschäftsmodelle weiter aus – Der internationale Markt lockt

Die von der VUFO erzeugten GIDAS-Daten werden aber auch von Institutionen und Behörden auf nationaler und europäischer Ebene verwendet. So nutzt z.B. die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) die Daten, um in Genf oder Brüssel notwendige Standards, Richtlinien und Regeln für den Straßenverkehr zu erarbeiten. Auch die Prävention von Unfällen rückt zunehmend ins Visier. Hier unterstützt die VUFO unter anderem Berufsgenossenschaften mit datengetriebenen Ansätzen. Im vergangenen Jahr wurde zusammen mit medizinischen Gremien der in Deutschland gültige Notarztindikationskatalog mit Hilfe der VUFO überarbeitet. Kurz: Immer neue Möglichkeiten, Menschen vor Unfällen oder deren Folgen zu schützen, werden ins Visier genommen. Ziel der VUFO GmbH ist es, den eingeschlagenen Weg auch in den kommenden Jahren weiterzuverfolgen und zu internationalisieren. Dabei steht im Fokus, mehr europäische Fahrszenarien mit den in Sachsen entwickelten Methoden zu validieren und mit den vorhandenen Daten zu erweitern oder auch deren Varianz zu erhöhen – sei es bei der Integration von Wildwechseln oder verschiedener Nutzfahrzeugklassen.

1,19 Millionen Menschen sterben noch immer jährlich weltweit im Straßenverkehr. Viele dieser Tragödien könnten verhindert oder zumindest abgemildert werden. Die hierfür notwendigen Daten, Systeme und deren Möglichkeiten sind oftmals schon vorhanden. Verschiedene Verkehrskonzepte, Infrastrukturelemente sowie fahrzeugseitige Systeme und Funktionen lassen sich mit Hilfe der von der VUFO GmbH und des Fraunhofer IVI entwickelten Datenplattformen und Visualisierungen auf Herz und Nieren prüfen. Es gibt wohl kaum ein Unfall- oder Gefahrenszenario mehr, dass sich auf Grundlage dieser validen Daten nicht simulieren und anhand der so gewonnenen Erkenntnisse mit geeigneten Maßnahmen adressieren ließe. Es ist an der Zeit, dass nicht nur Automotive-Unternehmen diesen Wissensschatz für die Optimierung ihrer Fahrzeuge nutzen. Auch bei Städten, Gemeinden, Kommunen und Ländern besteht die Notwendigkeit, mit datengetriebenen Ansätzen den Defiziten im Bereich der Verkehrssicherheit zu begegnen. Denn jeder Unfall ist schließlich ein Unfall zu viel.

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Weiterführende Links

👉 German In-Depth Accident Study (GIDAS)
👉 Traffic Accident and Scenario Community (TASC)
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👉 UNIDATO®
👉 Fraunhofer IVI, Fahrzeug- und Verkehrssicherheit
👉 Digitale Geschäftsprozesse

Foto: VUFO GmbH

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Dieser Beitrag ist exklusiv für die “NEXT Im Fokus: Software” verfasst worden.

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