Mikroelektronik

Milliardenmeinung: Warum weniger manchmal mehr ist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Frank Bösenberg zum Kommentar: Monströse Subventionen, veröffentlicht auf Zeit Online.

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Foto: Crispin-Iven Mokry

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Natürlich verfolge ich, wie über die Halbleiterbranche und damit auch über Silicon Saxony geschrieben wird. Und in den vergangenen Tagen gab es viel zu lesen. Na klar, der Spatenstich von TSMC bzw. richtiger ESMC war ein echtes Großereignis – und es ist ein echtes Großprojekt. Eines, das die Region weiter stärkt, aber vor allem die Branche – und auch deren wichtige Kunden, die europäische Automobilindustrie. Und die Genehmigung der Förderung – stattliche 5 Milliarden EUR – durch die EU Kommission gab es auch (Klicken, um zur Detailinfo zu gelangen). 

Normalerweise lese ich übrigens Artikel. Artikel sind in der Regel sachlich und objektiv. Sie berichten über Fakten, Ereignisse oder Themen, ohne persönliche Meinungen des Autors einzubringen. Der Fokus liegt darauf, zu informieren und eine klare, neutrale Darstellung der Informationen zu bieten. Artikel dienen dazu, aktuelle Geschehnisse oder relevante Themen umfassend darzustellen.

Kommentare hingegen sind meinungsbetonte Texte. Sie reflektieren die persönliche Sichtweise des Autors zu einem bestimmten Thema oder Ereignis. Ein Kommentar analysiert, bewertet und interpretiert die Informationen, die in einem Artikel präsentiert werden und versucht, den Leser zu einer bestimmten Meinung zu bewegen oder zum Nachdenken anzuregen. Kommentare sind oft als solche gekennzeichnet, um den Lesern zu signalisieren, dass es sich um eine subjektive Meinung handelt.

Ein solcher Kommentar zu besagtem Großereignis fand sich diese Woche auch in der ZEIT Online: 
Titel (Klicken, um zum Original-Kommentar zu gelangen): Chipfabrik in Dresden: Monströse Subventionen.

Einen Artikel gab es übrigens auch, gleiches Medium, aber anderer Autor, oder besser Autorin: Europäische Chip-Industrie: EU bestätigt milliardenhohe Förderung für Chipfabrik in Dresden | ZEIT ONLINE

Das hier ist ja auch ein Kommentar, also darf ich die Informationen bewerten – auch die des Artikels.

Kurz und knapp – passt im Großen und Ganzen. Nach der  Kritik von zwei namentlich genannten Ökonomen gibt es die Objektivierung, also die Einordnung, dass manche Ökonomen die Initiative auch lobten. Dabei war die lobende Ökonomin nicht irgendwer, sondern Monika Schnitzer, die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen. Die Nennung Ihres Namens wurde aber wohl beim Verfassen des Artikels vergessen.

(BR24: Wirtschaftsweise Monika Schnitzer zu Chipfabrik in Dresden – hier anschauen (ardmediathek.de))

Aber gut, kann ja mal passieren. Die (Co-) Autorin des Artikels ist seit August 2024 Hospitantin am Newsdesk von ZEIT ONLINE, der Artikel wird ihr auf ihrer Autorenseite noch nicht mal zugerechnet und besteht ansonsten aus Texten von Reuters bzw. AFP.

Zurück zum Kommentar, also der Meinung. Und zwar der von Kolja Rudzio. Ich kenne den Herrn nicht, ich lese wie gesagt viele Artikel zur Branche, sein Name ist mir dabei noch nicht aufgefallen, laut seiner Autorenseite auf der Zeit hat er Politikwissenschaften und Volkswirtschaft studiert und schreibt vor allem über den Arbeitsmarkt und Sozialpolitik.

Tatsächlich hat er im letzten Jahr aber schon zwei Mal zur Branche geschrieben, einmal zu ASML und einmal zu Intel.

Der Milliarden-Acker hieß der Artikel damals, Intel in Magdeburg: Der Milliarden-Acker | ZEIT ONLINE, der Einleitungstext lautete: Die Regierung gibt Intel fast zehn Milliarden Euro für eine Chipfabrik in Magdeburg – drei Millionen Euro je Arbeitsplatz. Lohnt sich das?

Ja, ein Artikel. Nein, nicht als Kommentar gekennzeichnet. Klingt trotzdem nach Analyse und nicht nach Bericht? Also eher nach Kommentar? Finde ich auch. Aber um diesen Artikel soll es heute nicht gehen, sondern um den anderen, den echten Kommentar. Nachfolgend werde ich daher öfter daraus zitieren.

Es geht also um die „monströsen Subventionen“, die Milliarden, die der Kanzler diesen Dienstag in Dresden symbolisch half, „zu vergraben“.

Und dass laut Kolja Rudzio „leider“ viel dafür spricht, „dass es falsch ist, dieses Geld hier zu verbuddeln.“

Der Autor ist der Meinung, dass diese Subventionen für die Chipindustrie sich als die größte Geldverschwendung in der Geschichte der Bundesrepublik erweisen könnten. „Denn viele Erwartungen, die mit ihnen verbunden sind, erscheinen völlig überzogen.“

Meiner Meinung nach war das Desaster mit der Maut schon eine ziemliche Geldverschwendung (ca. eine viertel Milliarde), der geschätzte Cum-Ex-Schaden liegt bei ca. 12 Milliarden EUR. (Cum-Ex: Wie steht es um die Aufarbeitung? | tagesschau.de)

Aber zurück zu den „verbuddelten“ Milliarden.

Der Kanzler, der neben Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, TSMC CEO C.C. Wei und dem sächsischen Ministerpräsidenten Kretschmer anwesend war, hat bei seiner Rede zum Spatenstich übrigens 4 Argumente gebracht, warum die Förderung sinnvoll sei (drittens und viertens halte ich für sich mindestens überschneidend, aber gut).

Rede von Kanzler Scholz beim Spatenstich zur TSMC-Halbleiterfabrik (bundeskanzler.de)

Auch im Beitrag der Kommission findet sich eine Begründung für die Förderung. 

Aber schauen wir doch mal auf die angesprochenen Erwartungen, oder auch Argumente, von denen Herr Rudzio schreibt, es sind im Grunde drei:

1) Das Argument der Subvention pro Arbeitsplatz. Die Rechnung geht so: 5 Mrd / 2000 Arbeitsplätze = 2,5 Mio pro Arbeitsplatz. Das sei unverhältnismäßig, selbst wenn Lieferanten weitere Stellen schaffen.

Kann man so sehen. Kann man so rechnen. Gut, mein VWL-Professor, Professor Blum, damals an der TU Dresden, hätte diese Rechnung vermutlich als etwas unterkomplex betrachtet. Vorsichtig ausgedrückt. Ich bezeichne sie als Milchmädchenrechnung, populistisch noch dazu.

1:6,7 ist übrigens der so genannte Job Multiplyer, das Verhältnis von Arbeitsplätzen in der Halbleiterindustrie, genauer gesagt in der Halbleiterherstellung (semiconductor manufacturing) , zu weiteren, zumindest laut dem amerikanischen Verband SIA.

Für den Großraum Dresden liegt die Zahl bei 1:3, also 3 Arbeitsplätze bei den direkten Zulieferern innerhalb dessen, was man als Region bezeichnen würde. Hier gibt es die Industrie nämlich schon lange, sie ist über die Jahre weiter gewachsen, in etwas, das man Cluster nennt. Das Cluster hat auch einen Namen – Silicon Saxony. Und der gleichnamige Verein, der unter anderem durch die Beiträge seiner Mitglieder finanziert wird, hat recht genaue Zahlen zu deren Beschäftigten – die sind nämlich die Berechnungsgrundlage für die Beitragszahlungen.

Objektiv ist die Subvention pro Arbeitsplatz aber tatsächlich hoch. Zum Vergleich: Die Direktzahlungen für die Landwirtschaft letztes Jahr betrugen 6,9 Mrd. EUR bei ca. 938.000 Beschäftigten insgesamt. Macht rund 7.356 EUR pro Arbeitsplatz. Ohne Dieselsubventionen oder andere Zahlungen, na gut. Aber objektiv viel weniger als die sagen wir mal rund 357.000 pro Arbeitsplatz, wenn man mit insgesamt 14.000 geschaffenen Jobs rechnet (1:6).

Das Argument bleibt also valide – die Subvention pro neu geschaffenem Arbeitsplatz ist hoch.

Für den Braunkohleausstieg stehen übrigens bis zu 40 Milliarden zur Verfügung. Bei (Stand 2020) ca. 20.000 Beschäftigten in der Kohleindustrie. Macht 2 Millionen pro Arbeitsplatz, der wegfällt.

Aber vielleicht ist die ganze Rechnung mit dem Geld pro Arbeitsplatz ja auch nur mäßig sinnvoll. Für gute Schlagzeilen reicht sie natürlich allemal. Hat ein Ökonom mal rausgefunden.

2) „Ein anderes in den vergangenen Jahren öfter gehörtes Argument lautete: Wir müssen solche Standorte im Osten fördern, damit die Menschen keine radikalen Parteien wählen.“

Also, von Befürwortern der Ansiedlungen habe ich dieses Argument offen gesagt noch nicht gehört, oder ich kann mich nicht mehr darin erinnern. 

Interessanterweise kommt im Artikel, Verzeihung, im Kommentar, jetzt das Argument, dass Biden das in den USA mit noch höheren Summen auch versucht habe, es aber nicht gelänge – die Leute würden immer noch vor allem Trump anhängen. „Und in Deutschlands Osten steht bei den Landtagswahlen trotz aller Chip-Milliarden ein Triumph von AfD und BSW bevor.“

Auf die USA möchte ich hier gar nicht weiter eingehen, nur so viel, der US Chips & Science Act gilt als bipartisan, also überparteilich.

Zurück zu Deutschland: Die Chip-Milliarden für neue Werke sind bisher im Grunde nur nach Sachsen geflossen oder werden das tun. Die Gleichsetzung von Sachsen mit „dem Osten“ ist aus meiner Sicht auf mehreren Ebenen nicht sinnvoll, aber ein bisschen Verallgemeinerung kann man ja auch als Meinung sehen. Und aus der Ferne, aus Hamburg, verschwimmen die Grenzen vielleicht auch ein bisschen.

Objektiv ist es schwierig, dieses Argument faktisch zu belegen – oder zu widerlegen.

Einiges spricht aber dafür, dass es großer Quatsch ist – egal von wessen Seite es kommt.

Ich lasse mich übrigens gern eines Besseren belehren, wer dieses Argument, angeführt von Personen, die die Branche wenigstens etwas kennen, irgendwo findet, möge es mir bitte zukommen lassen.

In diesem Zusammenhang sei aber noch auf eine Anfrage der AfD an die Bundesregierung aus dem letzten Herbst verwiesen. „Nach Auffassung der Fragesteller zeigt sich damit, dass die größten Auslandsinvestitionen vor allem in diese Bundesländer fließen, in denen die AfD eine führende Partei ist und die die besten Bildungssysteme aufweisen.“ (Antwort auf die Anfrage der AfD)

Die Frage bzw. die Auffassung, die dahinter steht, ist für mich übrigens so absurd wie das Argument an sich. Also weiter im Text.

3) „Als weiteres Ziel der Subventionen wird genannt, Deutschland und die EU vom Ausland unabhängig zu machen. Die Pandemie habe gezeigt, wie wichtig das sei. Viele Chips kämen heute aus Taiwan, das von China bedroht werde. Das Argument scheint einleuchtend, trägt aber nicht wirklich.“

Ein kleiner, aber wichtiger Unterschied in der deutschen Sprache, genauer in der Grammatik, macht hier seine Argumentation hinfällig. Nun hat Herr Rudzio Politikwissenschaften und Volkswirtschaft studiert, nicht jedoch Germanistik. Spielt aber keine Rolle, denn diesen Unterschied lernt man in der Grundschule. Er heißt Komparativ.

„Gemeinsam mit der EU will Deutschland bei der Produktion von Mikrochips unabhängiger werden.“ Unabhängiger. Nicht Unabhängig. Komparativ. So steht es auch im Artikel. Nicht jedoch im Kommentar.

Oder, wie Kanzler Scholz es in seiner Rede ausdrückte: „Dabei geht es nicht das will ich ausdrücklich sagen um Autarkie oder den Rückbau globaler Liefer- und Wertschöpfungsketten.“

Dass mehr Produktionskapazität in Europa wichtig ist, vor allem für die angedachten Kunden der Fabrik, die europäische Automobilindustrie – nun, das sagt diese Industrie selber, und zwar in einer eigens erstellten Studie. 

Nochmal – mehr Souveränität in Bezug auf Kapazität und Wissen um die Technologie ist gewünscht bzw. adressiert – von Autarkie bzw. Unabhängigkeit ist nicht die Rede – zumindest nicht von Personen, die sich mit der Branche wirklich befassen.

Im Artikel heißt es abschließend: „Sicher ist es sinnvoll, Chips nicht nur in Taiwan zu kaufen. Doch schon heute werden auch in Deutschland, Irland, Südkorea, Japan und den USA Chips produziert. Weitere Werke sind in Malaysia, Singapur und Indien geplant sowie wiederum in den USA, Japan und Südkorea. Es gibt also Anbieter rund um den Globus. Muss man da wirklich auf Biegen und Brechen – mit geradezu monströsen Summen – Fabriken in Deutschland herbeisubventionieren? Die Antwort ist klar: Nein.“

Eine Unterscheidung darin, was wo produziert wird (Chipfertigung ist nicht gleich Chipfertigung, es gibt verschiedene Arten und Stufen der Herstellung), erfolgt hier nicht.

Was auch nicht erfolgt ist die Frage – oder die Aussage – warum bzw. dass alle genannten Länder Subventionen für den Bau dieser Fabriken bieten. Malaysia allein zum Beispiel 5 Milliarden Dollar, allerdings ohne eine Zeitschiene. Auch in den anderen Ländern bzw. Regionen stehen Förderungen in beträchtlicher Höhe zur Verfügung.

Alles in allem ein Kommentar, der nicht viel Fachwissen ausdrückt, an Meinung aber nicht spart.

Er geht auf die während des Spatenstichs durch Scholz bzw. von der Leyen vorgebrachten Punkte zur Begründung der Subvention nicht ein oder widerlegt diese gar.

Nun ist das ja ein Kommentar, und da darf man seine Meinung einbringen. Meine Meinung ist aber, dass, wenn man keine Ahnung hat, es manchmal vielleicht besser ist, nichts zu sagen.

Zum Abschluss möchte ich noch ein paar Fragen für eine echte Debatte rund um das Thema Halbleiter und Subventionen aufwerfen, denn ich halte sie prinzipiell für wichtig und denke, sie wird uns noch eine Weile begleiten:

1. Welche Teile der Halbleiterproduktion braucht man bis zur Endanwendung und welche Anteile davon finden in Europa statt (Design, Frontend, Backend, Distribution, Elektronikfertigung, Endanwendung)?

2. In welchen Bereichen sind wir vollständig von einem Land abhängig? Gibt es eine wechselseitige Abhängigkeit?

3. Wie lautet die Strategie Deutschlands und Europas, um das Gesamtziel von 20% Produktionsanteil im Bereich Halbleiter bis 2030 zu erreichen? Gibt es ein Ziel für die Zeit danach?

4. Welche internationalen Abkommen mit den oben genannten Ländern gibt es in Bezug auf Halbleiter?

5. Warum hat sich TSMC in Dresden angesiedelt? Standen andere Standorte in Deutschland zur Debatte? Welche Effekte sind seit Mitte der 90er im dort entstandenen Cluster zu verzeichnen – wie stellt sich der Rückfluss der Steuermittel über die Zeit dar, wie haben sich Beschäftigung und durchschnittliches Einkommen entwickelt?

Zu einigen – nicht allen – dieser Fragen gibt es bei Interface, früher mal die Stiftung Neue Verantwortung, gutes Lesematerial. 

Und wer noch ganz neu im Thema ist, dem empfehle ich immer gern „Der Chip Krieg“ von Chris Miller

Lassen Sie uns, lasst uns gern weiter sachlich über diese und weitere Fragen diskutieren. Ich freue mich darauf so sehr, wie ich mich auf das weitere Wachstum der Chipindustrie in Deutschland und Europa freue.

Und darauf, weitere Artikel zu lesen. Vielleicht sogar Kommentare. Natürlich auch über Silicon Saxony.

Ihr/Eurer Frank Bösenberg

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