Smart Systems

Sachsen bewegt sich am Puls der Zeit

Sächsische Forschung treibt auf unterschiedlichen Testfeldern Mobilitätskonzepte für die Zukunft voran. In einem ausführlichen Interview mit Prof. Dr.-Ing.
Oliver Michler (Professor, TU Dresden, Fakultät Verkehrswissenschaften) sprechen wir über spannende sächsische Forschungsprojekte, die Notwendigkeit von Testfeldern und die Frage, woran das vollständig autonome Fahren derzeit noch scheitert.

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Prof. Michler, was sind aktuell die größten Herausforderungen der Mobilitätsforschung?

Ganz eindeutig das automatisierte Fahren im urbanen und suburbanen Raum. Hier gilt es, schnellstmöglich informationstechnische und infrastrukturelle Grundlagen zu bilden. Daher arbeiten wir aktiv an technologischen Lösungen, um automatisiertes Fahren zu ermöglichen und in diesem Zusammenhang auch aufzuzeigen, welche Komplexität auf uns zukommt und wie Umsetzungszeiträume aussehen.  

Womit beschäftigt sich Ihre Professur in diesem Kontext?

Wir beschäftigen uns in erster Linie mit intermodalen Verkehrsinformationssystemen, also Themen wie Vernetzung und Lokalisierung sowie Sensing.

Unsere Forschung beruht auf drei Säulen. Im ersten Schritt führen wir eine PC-basierte Funk- und Signalsimulation mittels elektrischer 3D-Modelle durch. Im zweiten Schritt generieren oder emulieren wir – modellgestützt – Live-Signale in speziellen Laborumgebungen wie zum Beispiel unserem Absorberraum. Hierbei geht es auch um die Interaktion mit Systemkomponenten aus Infrastruktur und Fahrzeugen. Im dritten Schritt testen und analysieren wir diese im Rahmen von Live-Tests in unseren verschiedenen Testfeldern. Dieser letzte Schritt ist besonders spannend und wichtig, um reale Daten zu sammeln, also die Daten, die auf der Schiene, im Flugzeug, der Binnenschifffahrt oder auf der Straße entstehen, um sie dann wieder in der Modellierung, also in Schritt 1 zu nutzen.

Sie haben jetzt mehrere Anwendungsbereiche Ihrer Forschung angesprochen. Welche sind hier am wichtigsten?

Unsere Forschung erstreckt sich über alle Verkehrsträger hinweg. Entsprechende Projekte aus den Bereichen Schiene, zum Beispiel der intelligente Güterwagen, aus der Luftfahrt, hier beispielsweise die Flugzeugkabine der Zukunft, der Binnenschifffahrt mit intelligenten Schleusen sowie natürlich Automotive mit den herausfordernden Automatisierungsthemen von der Straße bis zum Parkhaus. Das klingt erst einmal sehr viel, aber man muss sehen, dass die Themen Kommunikation und Ortung alle Forschungsprojekte verbinden. Was die Datenkommunikation im Allgemeinen oder in systemischen Komponenten im Speziellen angeht, sind immer ca. 80 Prozent unserer Projekte gleich. Nur 20 Prozent sind tatsächlich verkehrsträgerspezifisch.

Wodurch zeichnet sich Ihr Forschungsansatz generell aus?

Besonders ist die enge Verzahnung mit der Industrie. Wie praxisorientiert unsere Projekte sind, zeigt sich auch in den zahlreichen Ausgründungen, die wir mitbetreut haben oder noch immer betreuen, darunter Zigpos, Metirionic oder auch aeroLiF.

Eine weitere Besonderheit ist, dass wir mit Technologien arbeiten, die es schon gibt und die wir auf Robustheit, Tauglichkeit und Verbesserungspotentiale testen. Wir arbeiten grundsätzlich mit unterschiedlichen, aber kombinierbaren Basistechnologien, gekennzeichnet durch Bandbreite, Frequenzbereich etc. und nutzen Rohdaten, die bei Kommerzialisierung einer Technologie oder Umstellung nach wie vor nutzbar sind.

Das macht unsere Ansätze technologisch offen und kostenseitig sehr effizient.

Gleichzeitig machen wir Vorlaufforschung. Das heißt, dass wir natürlich auch versuchen, innovative bzw. revolutionäre Technologien einzubinden, die heute zwar noch in der Anwendungsfindung sind, aber großes Einsatzpotential haben. 5G ist hierfür ein Beispiel. Wir haben schon vor zehn Jahren mit proprietären Breitbandtechnologien gearbeitet. Der Standard, also 5G, kam dann zwar später, aber das, was mit 5G im Rahmen der Ortung oder 6G im Rahmen des Sensing möglich ist, haben wir schon vor ca. zehn Jahren mit unseren proprietären Systemen softwaretechnisch machen können.

Neben 5G ist auch Ultrabreitband (UWB) hierfür ein gutes Beispiel. Diese Technologie ist heute in Smartphones verbaut und kostet damit nur ein- bis zweistellige Eurobeträge. Ursprünglich hat ein Chipsatz in Evaluierungsplattformen aber mal bis dreistellige Beträge gekostet.

Unser Ziel ist immer, dass wir die Software und die technologisch aufbereiteten Rohdaten in Simulation, Emulation oder aus Evaluierungssystemen haben. Wenn die Technologie dann im Sinne einer Standardisierung nachzieht, kommen wir mit unserem erstellten Framework noch immer zu nahezu denselben Ergebnissen oder Qualitäten.

Was ist hier die nächste vielversprechende Basistechnologie, mit der Sie schon jetzt arbeitet?

Wir beschäftigen uns aktuell viel mit moduliertem Licht als Übertragungs- und Ortungsmedium, also beispielsweise Licht als robuster redundanter Kommunikationskanal zwischen Fahrzeugen im Platooning, oder auch zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur, wo zum Beispiel über modulierte LEDs in Lichtsignalanlagen an Kreuzungen kostengünstige Kommunikationskanäle entstehen, und wenn Sie mich fragen, wird das die technologische Zukunft sein.

Licht ist standardisiert und es gibt Chipsätze, die können zwischen LED-Licht und einem LED-Empfänger bereits jetzt über zweistellige Meter-Entfernungen ein Gigabit an Daten übertragen.

Licht ist aktuell noch ein neuer Ansatz im Verkehr, der aber großes Potential hat. Warum?

Weil der Straßenverkehr sowieso zahlreiche Lichtquellen bietet.

Jede Ampel, jeder Scheinwerfer, jede Laterne kann neben einem Accesspoint für die Kommunikation im Grunde eine Landmarke, also ein Orientierungspunkt für die Lokalisierung, sein. Ich bin mir absolut sicher, dass irgendwann auch große Unternehmen im Verkehrssektor wie beispielsweise Siemens erkennen werden, dass da ein neuer Markt dranhängt.

Wenn das der Fall ist, werden wir für unsere jetzt getesteten Systeme standardisierte Rohdatensignale erhalten, die – mit kleinen Anpassungen am Framework – auf unsere technologieoffenen Forschungsansätze passen werden.

Ein anderes Beispiel sind unsere speziell an verkehrstechnische Erfordernisse angepassten, abstrahlenden Antennenkabel, genannt LCX. Diese setzen wir in besonders schwierigen Versorgungsbereichen, wie Tunneln, Parkhäusern aber auch in der Flugzeugkabine ein, in denen es Kommunikationsversorgungsengpässe und auch keine GPS-Signale gibt. Diese längsdominanten technologieoffenen Antennen, die beispielsweise auch in Leitplanken eingesetzt werden können, gewährleisten mittels spezieller Signalverarbeitung die Fahrspurselektivität und könnten damit zukünftig eine ganze Reihe von Sensoren ersetzen. Das ist momentan noch aufwendig und in der Erstinstallation zwar teuer, aber ich bin mir sicher, dass dieses Technologie in der Zukunft sehr relevant sein wird.

Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang Testfelder und welches Testfeld ist derzeit das aus Ihrer Sicht Spannendste?

In erster Linie sind sie wichtig, um reale Daten zu sammeln, die wiederum für die Evaluierung und weitere Forschung relevant sind. Hierfür gibt es Testfelder in Realumgebung und solche, die ausschließlich für Test- und Prüfzwecke errichtet werden. Zur ersten Kategorie gehört z.B. die suburbane „Test- und Pilotstrecke für Intelligente Verkehrssysteme und automatisiertes Fahren“ auf der B170 im Süden von Dresden. Wesentliches Ziel ist hier die Unterstützung des vernetzten Fahrens. Dafür erschließen wir Potentiale neuer Technologien, mit denen wir die Verkehrssicherheit und die Effizienz des Verkehrs verbessern können.

Zur zweiten Kategorie, also den nicht öffentlichen Prüf- und Testfeldern, gehört z.B. das Smart Mobility Lab (SML), ein EU-Forschungsprojekt der TU Dresden, das gerade in Hoyerswerda entsteht. Hier kann zukünftig die Vernetzung zwischen Fahren, Fliegen und Robotik getestet und sogar zertifiziert werden. Das ist nicht nur für den Straßenverkehr äußerst spannend, sondern auch für Anwendungen im industriellen Bereich, zum Beispiel in der Logistik.

Woran scheitert der vollständig automatisierte Verkehr denn aktuell noch?

Dazu muss man sagen, dass ein situatives autonomes Fahren auf Autobahnen im Prinzip schon heute möglich wäre. Das Auto, das ich privat fahre, hat Automatisierung Level 3, das heißt, dass ich jederzeit spontan das Lenkrad übernehmen können muss.

Mit Level 3 könnte ich auf einer exklusiven, sinnvoll möglichst linken Spur, bei Zielgeschwindigkeiten bis zu 130 km/h von Dresden bis München fast durchgängig die Hände vom Steuer nehmen. Im urbanen Raum ist das noch Utopie.

Der Grund hierfür ist der Mischverkehr. Denn ein Standardfahrzeug aber auch ein Fahrrad oder ein Oldtimer haben keine Vernetzung, kein Laser oder Radar.

Aber abseits davon sind auch die Systeme noch nicht sicher genug. Würden wir im Stadtverkehr maximal 20 bis 30 km/h fahren, könnten sie schon heute schneller auf Kinder, Bälle oder unvorhergesehene Ereignisse reagieren, als es der Mensch kann. Aber bei höheren Geschwindigkeiten wie auch bei 50 km/h geht das aus physikalischen Gründen im Sinne des Bremswegs nur bei Vollvernetzung mit Vehicle2X-Kommunikation und Umfeldsensorik wie Lidar, Radar, Kamera etc. und das ist momentan einfach noch viel zu teuer.

Hinzu kommt, dass man zum vollumfänglichen, automatisierten Fahren hochverfügbare, sichere Signalwege zwischen den Fahrzeugen benötigt. Hierfür braucht es redundante Übertragungskanäle mit Qualitätsmonitoring. Wir nennen das „Integrität“.

Für eine ausreichende Sicherheit müssen sich immer verschiedene Sensordaten gegenseitig stützen. Diese so genannte Datenfusion ist nicht nur dazu da, um bessere Datenqualität oder eine bessere Auflösung zu erzielen, sondern vor allem auch, um Sicherheit und hohe Zuverlässigkeit zu erreichen. Bei schlechten Wetterbedingungen wie Nebel, Schneefall aber häufig auch einfach bei Dunkelheit sind optische Sensoren, wie Kamera oder Lidar aufgrund der Lichtdämpfung mit schwachem Signalempfang zum Beispiel fehleranfällig. Physikalische Redundanz heißt hier mit wetterunabhängigen Sensoren wie Radarsystemen aber auch Inertialsystemen arbeitsfähig zu bleiben.

Abseits vom schlechten Wetter: Welche Bereiche des Verkehrsgeschehens bergen aktuell die größten Herausforderungen?

Zum Beispiel Tunnel und Parkhäuser. Da das vernetzte Fahren nicht im Freien endet, befinden sich einige unserer Testfelder genau hier. Aufgrund nicht vorhandener oder nur schwacher Funksignale sind Kommunikation und Ortung in diesen Bereichen schwierig. Außerdem stellen die zahlreichen reflektierenden Wände aber auch die benachbarten Fahrzeuge große Herausforderungen dar. Wir versuchen, auch diese Anwendungsdomänen funkgestützt zu lösen und setzen auf breitbandige Kommunikationsträger wie 5G oder UWB, mit denen wir dann geleichzeitig Ortung bzw. Tracking und Umgebungserfassung realisieren. Aber auch die bereits angesprochenen abstrahlende Antennenkabellösungen testen wir als Optimierungskomponente in diesem Kontext.

E-Auto, Flugtaxi oder Lastenrad: Wie würden Sie sich im Stadtverkehr zukünftig am liebsten fortbewegen?

Ich fahre derzeit dienstlich ein E-Auto und komme damit im Stadtverkehr sehr gut zurecht. Nun wird der urbane Raum aber immer enger und der Platz auf der Straße ist begrenzt. In China geht man hier bereits in die dritte Dimension und hat dabei wesentlich mehr Freiheiten. Deshalb ist meine Vision ein, ich nenne es mal „intermodales Fahrgerät“, dass den Individualverkehr mit dem ÖPNV, also einem spurgeführten Verkehr, verbindet. Hierdurch würde man beispielsweise auch das Problem der letzten Meile lösen. Die E-Mobilität ist meiner Ansicht nach für die Autobahn noch nicht die ideale Lösung, da das batteriebedingte hohe Fahrzeuggewicht mit daraus resultierenden begrenzten Reichweiten der Flaschenhals ist. Deshalb ist die Entwicklung einer elektrofreundlichen Infrastruktur mit passenden Servicediensten wie Reservierung von Ladepunkten oder Schaffung von priorisierten Verkehrsräumen nach wie vor ein spannendes Thema, dem wir uns im Sinne der Ressourceneffizienz widmen sollten, auch, wenn es politisch weniger im Fokus steht, als das automatisierte Fahren, insbesondere unter urbanen Bedingungen.
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Unser Gesprächspartner

Prof. Dr.-Ing. Oliver Michler,
Professor, TU Dresden, Fakultät Verkehrswissenschaften

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Professur für Informationstechnik für Verkehrssysteme

Die Professur „Informationstechnik für Verkehrssysteme“ der Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“ der TU Dresden beschäftigt sich in Lehre und Forschung mit Verkehrsinformationssystemen. Sie bilden die technische Basis für Verkehrstelematik-Dienste und dienen der informationellen Vernetzung der Strukturkomponenten Fahrweg, Fahrzeug und Fahrbetrieb.

Sekretariat: Cornelia Metál
E-Mail: cornelia.metal@tu-dresden.de
Telefon: +49 351 463-36781

Gerhart-Potthoff-Bau (Haus 2)
Hettnerstraße 3,
01069 Dresden
Raum POT 365a

👉 Zur Website der Professur

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Weiterführende Links

👉 Zigpos

👉 Metirionic

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